Der Gladiator
der Herolde auf den öffentlichen Plätzen vernahmen, lachten. Die Edikte, unter Augustus stets von hoher politischer Tragweite, waren unter Claudius so volkstümlich und belanglos geworden, daß sie von niemandem mehr ernst genommen wurden.
Auf dem Platz vor dem Stadtpalais der Kaiserin stieg ein junger Mann auf einen Mauervorsprung und äffte den kaiserlichen Herold nach: »Ich, Tiberius Claudius Cäsar Augustus Germanicus, erinnere mein Volk daran, daß eine tropfende Nase am besten dadurch beseitigt wird, indem man sie mit dem Ärmel abwischt!« Die Römer johlten und klatschten.
»Es ist, bei allen Göttern, ein Skandal, wie der Pöbel sich über den Kaiser lustig macht.« Calpurnianus, der zusammen mit Sulpicius Rufus des Weges kam, schüttelte den Kopf.
»Aber ist es denn ein Wunder?« meinte der festlich gekleidete Rufus. »Unter Caligula gab es keine derartigen Possen.«
»Heute«, sagte der Feuerwehrhauptmann, »ist es viel gefährlicher, sich über einen dieser Freigelassenen in der Umgebung des Prinzeps lustig zu machen als über den Kaiser selbst. Narcissus hat überall seine Spitzel …«
Der Gladiatorenausbilder machte eine unwillige Handbewegung. »Vielleicht löst sich das Problem ganz von selbst. Messalina bezweckt doch etwas, wenn sie diesen Silius zum Ehemann nimmt. Er soll zwar schön wie Apoll sein, viele sagen sogar, er sei der schönste Römer überhaupt, aber Messalina kann doch jeden Mann haben, den sie will, ohne ihn gleich heiraten zu müssen, zumal ihre Ehe mit Claudius ja noch gar nicht aufgelöst ist. Ich bin sicher, sie verfolgt einen ganz bestimmten Zweck.«
»Du glaubst doch nicht etwa, daß Gaius Silius Kaiser werden will?«
Rufus wiegte den Kopf hin und her. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine Frau wie Messalina sich ernsthaft in einen Mann verliebt, ihre Stellung als Gemahlin des Prinzeps vergißt und einen designierten Konsul ehelicht.«
»Wo ist der Kaiser überhaupt?«
»Angeblich soll er in Ostia sein und eine neuerbaute Hafenanlage einweihen.«
»Rufus, Rufus, ich habe ein ungutes Gefühl bei der Sache. Es scheint, daß man uns zuvorgekommen ist?«
»Und wenn schon«, antwortete Rufus, »dann stehen wir wenigstens auf der richtigen Seite.«
»Und wenn das Komplott mißlingt?«
Rufus hob die Schultern; dann lachte er. »Wie viele Gäste werden erwartet?«
»Angeblich hat Messalina nur ihre Liebhaber eingeladen. Und das dürfte ja auch der Grund sein, warum wir beide dasselbe Ziel haben.« Calpurnianus und Rufus brachen in schallendes Gelächter aus.
Die Türstehersklaven am Eingang zu Messalinas Palais verneigten sich tief und hießen jeden Gast mit Namen willkommen. Es war September. Wie bei einem Weinfest hingen pralle blaue Trauben weinlaubumrankt von den Wänden des Atriums, in dem Sklaven Schalen zum Händewaschen und Flakons zum Parfümieren reichten. Der Andrang war groß. Man kannte sich, nickte jedem freundlich zu und dachte: »So, so, der auch!«
»Was glaubst du«, raunte der Feuerwehrhauptmann Calpurnianus dem Rufus zu, »was glaubst du, wie viele Gäste hier geladen sind?«
»Du meinst, wie viele Liebhaber!«
Calpurnianus nickte schmunzelnd.
»Hundert, vielleicht zweihundert«, meinte Rufus, während sie in das Tablinum eintraten, wo Messalina ihre Gäste sonst im Bett zu empfangen pflegte. Die Gäste drängten sich, man sah nur Männer. Unter ihnen der Senator und Mitverschwörer Vergilianus.
»Es ist eng hier wie im dritten Rang des Theaters«, spottete er, »kaum, daß man sich bewegen kann.«
»Wenn man bedenkt, daß jeder Anwesende schon Messalinas Zuneigung erfahren hat …«, sinnierte Calpurnianus.
»Habt ihr schon einen Blick in den Säulenhof geworfen?« fragte Vergilianus. Die beiden anderen schüttelten die Köpfe. »Solltet ihr tun!« – Zu dritt drängten sie sich durch den Empfangsraum zum Säulenhof.
»Bei Amor und Psyche«, entfuhr es Calpurnianus, und Rufus ließ vor Staunen den Mund offenstehen. Im Säulenhof des Palastes saßen, lagen, standen und drängten sich noch weit mehr Liebhaber der Kaiserin. Das entlockte selbst einem abgebrühten Mann wie Sulpicius Rufus ein Wort des Erstaunens: »… Unglaublich …«
In der an der Schmalseite des Säulenhofes gelegenen Exedra, einer Art Mauernische, intonierte eine Musikkapelle erregende Klänge. Alle Augen richteten sich auf den seitlichen Eingang zum Vestibül, wo sechs afrikanische Sklaven erschienen. Auf den erhobenen Händen trugen sie eine weißhäutige
Weitere Kostenlose Bücher