Der Gladiator
letzten Worte. »Viel Glück!« Warum hatte er nicht auf sie gehört? Warum war er nicht einfach davongelaufen und hatte sich im Judenviertel versteckt? Mehr als töten konnte man ihn auch nicht, wenn man ihn entdeckte. War nicht die Chance, als Flüchtling zu überleben, größer?
Während all diese Gedanken durch seinen Kopf schossen, reifte in ihm der Entschluß zu fliehen. Die offene Feindseligkeit der anderen Gladiatoren, vor allem aber der Versuch, ihn mit der Verschwörung der Messalina in Verbindung zu bringen, bestärkte ihn in der Absicht, sich in das Judenviertel jenseits des Tibers abzusetzen. Der Mann, nach dem er fragen sollte, hieß Kaatha, ja, so lautete sein Name.
Vitellius stopfte den Lederbeutel mit seiner ganzen Barschaft in die Tunika. Im Schutz der Dämmerung schlich er sich an das Portal, wo der glatzköpfige Türsteher Wache schob. »Pst! Alter! He da!« Der Glatzkopf drehte sich um. »Scher dich in deine Zelle. Oder willst du schon wieder fliehen?«
»Schweig, Alter«, zischte Vitellius. »Ich biete dir zehn Sesterze, wenn du mich passieren läßt!«
Der Glatzkopf trat hinter einen Säulenvorsprung. »Was sind zehn Sesterze, wenn ich dafür meinen Kopf verliere …«
Vitellius griff in sein Gewand, zog seinen Lederbeutel hervor und drückte ihn dem Alten in die Hand. »Hier, das ist meine gesamte Barschaft!«
Der Türsteher ließ die Goldmünzen in die linke Hand gleiten, und seine Augen wurden groß. Mit einer Handbewegung zum Portal sagte er schließlich: »Verschwinde. Die Götter mögen dich begleiten!«
In der Stadt wimmelte es von Prätorianern. Die Leibgardisten hatten alle wichtigen Punkte besetzt. Claudius fürchtete einen Putschversuch. Deshalb machte Vitellius einen Umweg über den Circus maximus und überquerte nahe dem Forum Boarium den Tiber.
Der vierzehnte Stadtbezirk Transtiberim wurde in der Hauptsache von kleinen Leuten bewohnt, ein Massen-, teilweise Elendsviertel. Darin eingeschlossen war ein Judenviertel mit zehntausend Einwohnern und eigenem Ältestenrat, dem ein Gerusiarch vorstand. Die Synagoge bildete das religiöse Zentrum.
Von den jeweiligen Kaisern wurden die Juden mit unterschiedlichem Mißtrauen beobachtet. Als Verehrer nur eines Gottes mit ureigenen Riten und Gewohnheiten lebten sie abgesondert von den Römern. Erschwert wurde ihre Integrierung durch die Sprache. Nur wenige sprachen lateinisch, die Umgangssprache der Juden war Griechisch, Hebräisch konnten nur die Älteren. Dem Kaiser waren sie seit Jahren ein Dorn im Auge, weil sie seine Göttlichkeit nicht akzeptierten und dadurch ständig Unruhe stifteten. Cäsar und Augustus hatten ihnen weitgehende Zugeständnisse gemacht, die ihren heimischen Gewohnheiten Rechnung trugen. Sie hielten die Sabbatruhe ein und brauchten an diesem Tag nicht einmal vor Gericht zu erscheinen. Am meisten provozierte die Römer, daß die Juden auch einen Tag später kommen konnten, wenn die Ausgabe der Getreiderationen einmal auf einen Sabbat fiel. An solchen Tagen vermieden sie es, für ihre Ration Schlange stehen zu müssen.
Im Schutze der Dunkelheit gelangte Vitellius unbehelligt in das Stadtviertel. Trotz später Stunde brodelte das Leben auf den Straßen. Menschen drängten sich vor den gewaltigen Insulae. Die Mietskasernen waren allesamt überbelegt, die hygienischen Zustände katastrophal.
»Wo finde ich Kaatha?« fragte Vitellius einen der zahllosen Männer, die auf der Straße herumsaßen. Doch der sah den Fremden nur von oben bis unten an, spuckte verächtlich in den Straßenstaub und wandte sich ab. Erst beim dritten Versuch hatte Vitellius Erfolg.
»Was willst du von Kaatha?« fragte der Angeredete zurück.
»Ein Mädchen namens Rebecca, ihr Vater war Gladiator, hat mir bei Kaatha Unterkunft verschafft.«
»Komm mit«, sagte der Jude.
Sie bogen in eine Seitenstraße und kamen zu einem kleinen, schmalbrüstigen Haus. Aus dem türlosen Eingang drang der penetrante Gestank von verbranntem Hammelfett. Fröhliches Stimmengewirr verriet, daß ein Fest im Gange war.
»Kaatha!« rief der Mann ins Haus hinein, und nach einem kurzen Augenblick erschien ein Mann in mittleren Jahren mit lustigen kleinen Augen in der Tür. »Ich bin Kaatha«, sagte er, »was willst du?«
Der Jüngling wurde verlegen. »Ich heiße Vitellius. Rebecca nannte mir deinen Namen. Sie sagte, ich könnte bei euch Unterschlupf finden, zumindest fürs erste.«
»So, so«, meinte Kaatha, »du bist also der Gladiator Vitellius.« Und dabei
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