Der Gladiator
musterte er den Fremdling von oben bis unten. »Spät kommst du, sehr spät. Keiner von uns hat mehr mit deinem Kommen gerechnet. Am wenigsten Rebecca.«
»Ich weiß«, sagte Vitellius, »ich wollte auch gar nicht fliehen; aber inzwischen hat sich viel verändert. Rebecca wollte, daß ich nicht kämpfe. Ich habe gekämpft.«
Kaatha sah Vitellius fragend an. »Warum willst du dich dann jetzt verstecken?«
»Die Kaiserin hat mich begnadigt, nachdem ich in meinem ersten Kampf unterlegen war. Jetzt beschuldigt man mich, ich hätte mit Messalinas Verschwörern gemeinsame Sache gemacht.«
»Dafür werden sie Zeugen aufbieten müssen …«
»In der Stadt wurden Hunderte verhaftet. Ob zu Recht oder Unrecht kann ich nicht sagen. Seit Messalina mich begnadigt hat, habe ich viele Feinde. Es werden sich nicht wenige bereit finden, die für ein paar Sesterzen bereit sind, ein falsches Zeugnis abzugeben.«
Lächelnd drehte Kaatha sich um und rief: »Rebecca! Sieh, wer da ist!« – und auf einmal stand sie in der schummrig erleuchteten Tür: schön wie nie zuvor mit ihren funkelnden, dunklen Augen. Bei seinem Anblick zuckte sie merklich zusammen. »Vitellius?« flüsterte sie ungläubig, trat einen Schritt zurück und versteckte sich hinter der Schulter Kaathas.
»Rebecca!« sagte Vitellius zärtlich, er wollte auf sie zugehen und sie umarmen; aber Kaatha stand zwischen ihnen. »Ich wollte mich nicht vor dem Kampf drücken«, stammelte Vitellius verlegen, »ich habe gekämpft und verloren – wie du prophezeit hast; aber man hat mich begnadigt.«
»Ich habe geweint um dich«, antwortete Rebecca, »denn es war alles für dich vorbereitet. Jetzt ist es zu spät.« Von einem Weinkrampf geschüttelt, schlug das Mädchen beide Hände vors Gesicht. Dann sah sie Vitellius noch einmal an. Tränen blinkten in ihren dunklen Augen. Sie drehte sich um und lief ins Haus zurück.
Kaatha begann umständlich: »Ich weiß, wie sehr sie dich geliebt hat …«
»Geliebt hat?« unterbrach Vitellius, »was ist geschehen?«
»Rebecca hat mir von dir erzählt. Ich sollte dir helfen, dich verstecken, bis Gras über die Sache gewachsen wäre. Doch dann hörten wir von deinem Kampf, von deiner Niederlage und der Begnadigung durch Messalina, da wußten wir, warum du nicht gekommen warst.«
»Ich hatte Angst, ein Leben im Untergrund zu führen, jeden Tag in der Ungewißheit zu leben, entdeckt zu werden. Und – ich hoffte zu siegen, und beinahe hätte ich sogar gewonnen!«
»Ja«, sagte Kaatha, »aber dann hast du doch noch verloren und wurdest von der Kaiserin begnadigt. In Rom weiß jedes Kind, was es bedeutet, wenn Messalina einen Gladiator begnadigt.«
Vitellius ließ den Kopf hängen und schwieg.
Kaatha fuhr fort: »Rebecca kam in Tränen aufgelöst zu mir, nachdem sie davon gehört hatte. Sie sagte, wie sehr sie dich geliebt habe, daß sie alles für dich getan hätte, aber gegen Messalina könne sie nichts ausrichten. Ich habe sie getröstet und …« Kaatha stockte. Vitellius sah auf. »Nun«, fuhr er fort, »ich kannte Rebeccas Vater, und da sie allein ist in dieser großen Stadt, meinte ich, ich könne mich um sie kümmern. Wir feiern gerade unsere Verlobung.«
Vitellius stand da wie angewurzelt. Er brachte kein Wort hervor. Einen Augenblick überlegte er, ob er nicht in das Haus stürmen, Rebecca herausholen und mit ihr weglaufen sollte, doch dann wurde ihm die Unsinnigkeit seines Vorhabens bewußt. Vielleicht liebte sie ihn gar nicht mehr? Sicher fühlte sie sich bei Kaatha geborgen. Er hingegen war nur ein Verfolgter, ein Fugitivus. Ihm war zum Weinen zumute; aber der Schock hielt jede Träne zurück. Sekundenlang sahen sich die beiden Männer, die zu Rivalen geworden waren, an. Keiner sagte ein Wort. Schließlich drehte Vitellius sich um und ging ohne einen Gruß in die Richtung, aus der er gekommen war.
Messalinas Heirat und die Verhaftung der Verschwörer hatten ganz Rom in ein Chaos gestürzt. Jeder mißtraute jedem. Wilde Gerüchte machten die Runde. Das abenteuerlichste lautete: Claudius habe selbst den Ehevertrag zwischen Messalina und ihrem Geliebten Silius unterzeichnet, um die Verschwörer von sich abzulenken. All diese Ungewißheit und Unsicherheit konnte nur ein öffentlicher Prozeß beenden.
Wegen der großen Zahl der Angeklagten und dem noch größeren Interesse der Römer fand der Hochverratsprozeß in der Basilica Julia statt. In Scharen strömten die Römer schon am frühen Morgen kurz nach Sonnenaufgang
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