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Der Gladiator

Der Gladiator

Titel: Der Gladiator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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verschlafene Hafenstadt in ein brodelndes Völkergemisch. Aufgeregt und in allen Sprachen parlierend quollen Römer, Asiaten, Afrikaner und Einheimische aus den Häusern hervor und machten sich auf den beschwerlichen Weg von der krisäischen Ebene hinauf zu den Schluchten des Parnaß, die von der Morgenröte in rosiges Licht getaucht wurden. Dort irgendwo verborgen lag das Apollo-Heiligtum von Delphi mit dem berühmtesten Orakel der Welt.
    Regierungsdelegationen aus fernen Ländern holten hier Rat ein, der über Krieg und Frieden entschied, reiche Kaufleute ließen von der Pythia in den Bergen über Millionenprojekte entscheiden, und Hochzeiter aus Sizilien oder den Küsten Kleinasiens legten dem Orakel die alles entscheidende Frage vor: »Ist sie die Richtige oder nicht?«
    Der Zustrom hilfesuchender Fragesteller hatte Delphi und seiner Hafenstadt im Golf von Korinth zu legendärem Reichtum verholfen. Unfaßbar war das Vermögen, das sich hier aus Eintrittsgeldern und Weihegeschenken angesammelt hatte. Statuen und Geschirr aus purem Gold wurden von den Delphern bereitwillig vorgezeigt, galten sie doch als Beweis dafür, wie zuverlässig die Orakelsprüche waren. Seit die Römer Griechenland zur Provinz degradiert und wertvolle Weihegeschenke aus Delphi geraubt hatten, waren Besucher aus Rom hier ziemlich unbeliebt; man duldete sie nur, weil man mußte.
    Vitellius kümmerte das delphische Orakel wenig, er strebte gleich am Morgen dem Hafen zu und suchte die Hafenbehörde auf. Seine Nachforschungen, bei denen Pictor als Dolmetscher diente, erwiesen sich als mühevoll – schließlich lag der Fall, den der Römer aufzuklären versuchte, beinahe zehn Jahre zurück. Ein Schiff namens ›Eudore‹ habe nie den Hafen von Kirra angelaufen, betonte der Hafenmeister nach Durchsicht seiner Bücher, das wüßte er, und von einem Schiff mit Juden sei ihm überhaupt nichts bekannt. Erst nachdem ihm Vitellius einen römischen Aureus mit dem Bildnis des Kaisers zusteckte, wurde er gesprächiger.
    »In der Tat«, meinte er, »ich erinnere mich, hier kamen einmal zwei römische Schiffe mit Flüchtlingen an. Ihre Ankunft wurde jedoch nirgends vermerkt. Die Schiffe gingen in den Besitz des Reeders Aristophanes über. Heute laufen sie unter anderem Namen …«
    »Und wo finde ich den Reeder Aristophanes?« bohrte Vitellius weiter.
    »Dort, die weiße Villa am Rande der Stadt gehört Aristophanes!«
    Vitellius dankte und begab sich in Begleitung seiner beiden Sklaven zu dem Reeder. Auch er wußte nichts von Flüchtlingsschiffen, habe mit der Sache jedenfalls nichts zu tun gehabt.
    »Ihr könnt mir Vertrauen schenken!« log Vitellius. »Ich bin ein Freund des Pheroras und habe damals die gesamte Aktion geplant.«
    Der Name Pheroras wirkte Wunder. Auf einmal begann der Grieche lateinisch zu sprechen und sich sogar an Einzelheiten zu erinnern: »Eudore? – Nein, so hieß keines der beiden Schiffe, die ich damals übernommen habe. Das eine trug den Namen ›Leto‹, das andere hieß ›Feronia‹. Aber warum interessiert Euch das eigentlich? Ihr müßt doch selbst die Unterlagen haben!«
    »Gewiß!« sagte Vitellius, »es geht auch gar nicht um die Schiffe, ich bin auf der Suche nach einem der Passagiere, einem jungen Mädchen namens Rebecca.«
    Aristophanes sah den Besucher ungläubig an: »Die Passagierlisten wurden vernichtet, die Flüchtlinge gingen an Land, und jeder mußte sich selbst durchschlagen. Die meisten sind in Korinth untergetaucht. Im Tempel der Aphrodite findest du zahlreiche jüdische Freudenmädchen.«
    Vitellius schien es, als ob ihm der klammernde Griff eines Würgeisens die Luft raubte: Rebecca als Freudenmädchen! War dies möglich? Aber das Schiff auf das man Rebecca verfrachtet hatte, trug doch den Namen ›Eudore‹.
    »Dir ist persönlich an dem Verbleib des Mädchens gelegen?« erkundigte sich Aristophanes.
    »Ja«, antwortete Vitellius, »ich muß Rebecca finden.«
    Der Grieche überlegte kurz, dann meinte er: »Wenn du willst, kannst du mich zu Schiff nach Korinth begleiten. Vielleicht kann ich dir helfen …«
    Korinth, der Hauptstadt der römischen Provinz Achaia, haftete der Ruf großer Sittenverderbnis an. Obwohl mitten in Griechenland gelegen, war die Stadt alles andere als griechisch. Nach hartnäckigem Widerstand gegen die Römer hatte Lucius Mummius das alte Korinth völlig zerstört, die Bevölkerung niedermetzeln lassen oder in die Sklaverei verkauft. Hundert Jahre lang verödete die Stadt, bis

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