Der Gladiator
durchstreifen.«
»Tue es«, sagte Mariamne traurig, »denn nur so kannst du deinen Frieden finden.«
Vitellius befreite sich aus der Umarmung Mariamnes. Er sprang auf. »Rebeccas Spur verliert sich in der Provinz Achaia. Das Schiff, das sie außer Landes brachte, landete in Kirra.«
»Ein Segler braucht drei Tage von Brundisium nach Achaia. Der Frühling in der griechischen Provinz ist sehr schön. Mach dich schon morgen auf den Weg, dann kannst du früh genug zurück sein, um für die Spiele des Apollon zu trainieren.«
Vitellius umarmte Mariamne wortlos und verschwand. Als die Herrin des Hauses in das Atrium zurückkam, hatten die Gäste den Vorfall bereits vergessen. Es war einer der zahllosen Skandale, dessen Hintergründe man noch früh genug erfahren würde.
»Eine alte Rivalität«, beschwichtigte die Gastgeberin ihre Gäste, »nichts von Bedeutung.« Mit Unbehagen sah sie, daß ihr Mann und Arruntius Stella, der Festveranstalter des Kaisers, hinter einer Säule die Köpfe zusammensteckten und leise miteinander redeten. Das konnte nichts Gutes bedeuten.
Mariamne winkte ihre Dienerin herbei. »Sieh zu, ob du etwas von dem hören kannst, was die beiden besprechen!« Die Dienerin nickte und beeilte sich, das Geschirr auf dem nächststehenden Tisch zusammenzustellen. Als Pheroras und Arruntius sich gegenseitig die Hand auf die Schulter legten und auseinandergingen, kam die Sklavin zurück.
»Herrin«, sagte sie betroffen, »wenn ich Pheroras' Worte richtig verstanden habe, dann will er gar nicht, daß Vitellius den nächsten Kampf gewinnt. Jedenfalls hat er dem kaiserlichen Beamten eine Million Sesterze geboten, wenn er einen Faustkämpfer auftreibe, der Vitellius schlagen kann. Pheroras meinte, die Zeit von Vitellius sei abgelaufen.«
Mariamne kämpfte mit den Tränen. Sie schlug die Hände vors Gesicht, hatte sich aber bald wieder in der Gewalt. »O heilige Mutter Isis«, betete sie leise, »du Beherrscherin des Schicksals, du mußt mir helfen!«
K APITEL 9
A ls die Seeleute nach drei Tagen Überfahrt im Golf von Korinth die Segel einholten, senkte sich vom Parnaß-Gebirge eine wohlige Kühle über die Küste. Die Abendsonne vergoldete die schroffen Felsen und zauberte eine unwirkliche Kulisse am Horizont des ruhigen Meeres. Schweigend standen die Passagiere an Deck und blickten auf die Landschaft, der sie sich näherten. Die Hafenstadt Kirra lag eingebettet in silbern schimmernde Ölbaum-Plantagen, und je mehr sich das Schiff der Küste näherte, desto lauter wurde das schrille Zirpen von Millionen Zikaden, die dem Tag ihren Abendgesang darbrachten.
Vitellius wurde von seinen Sklaven Pictor und Minucius begleitet, von denen vor allem der Erstgenannte für ihn wichtig war, da er griechisch sprach. An der schmalen Hafenmole herrschte aufgeregtes Treiben, wie stets, wenn ein Schiff einfuhr; die Leute von Kirra lebten von ihrem Hafen. Aber weniger der Handel ernährte sie als vielmehr die Tatsache, daß ihr Städtchen Station für fromme Delphi-Pilger war, die von dem weltberühmten Orakel eine Antwort auf ihre Probleme erwarteten. Vitellius war wohl auch der einzige, dessen Ziel nicht das geheimnisvolle Adyton des delphischen Apollontempels war, sondern die Hafenstadt selbst, wo sich – wie ihm Pheroras verraten hatte – die Spur Rebeccas verlor.
»Was verkünden die Schreihälse Wichtiges?« fragte Vitellius seinen Begleiter Pictor und zeigte auf eine Schar nachlässig gekleideter Männer, die auf der Mole lärmend und scheinbar planlos hin und her rannten.
Pictor lachte: »Einige vermieten billige Schlafgelegenheiten, andere bieten ihre Promanteia, ihr Vorrecht bei der Befragung des Orakels, gegen Honorar an; nicht jeder, der hierher kommt, kann der Pythia sofort seine Frage stellen. Wer nicht zahlt, muß oft bis zu vier Wochen warten.«
Vitellius quartierte sich mit seinen beiden Sklaven im vornehmsten Fremdenheim von Kirra ein, das ihm vor allem dadurch aufgefallen war, weil über dem Portal in griechischer und lateinischer Sprache die Inschrift zu lesen war: »Willkommen ist jeder Gast, der mir Gewinn bringt.« Er ließ sich von einer Sklavin die salzige Meerluft vom Körper waschen und verbrachte die Nacht in wohligem Schlaf.
Geweckt wurde er von lautem Geschrei, das mit den ersten Sonnenstrahlen vor der Herberge losbrach. Maultier- und Eseltreiber entboten ihre Dienste, die Klienten des Orakels den steilen Paß hinauf nach Delphi zu bringen; und in kürzester Zeit verwandelte sich die
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