Der Gladiator
freuen, sollte er traurig sein? – Seine Rebecca war das nicht!
»Frage ihn, ob es hier nicht eine zweite Rebecca gibt.« Aristophanes tat, wie ihm geheißen. Wieder dachte der Priester nach, legte einen Zeigefinger auf den Mund und bat schließlich, ihm zu folgen. Zurück durch das unterirdische Gängelabyrinth gelangten die Besucher endlich zu jenen kleinen Zellen, die bereits die Aufmerksamkeit des Römers erregt hatten.
Behutsam legte der Priester ein Ohr an die Tür. Aus dem Innern drang Lustgestöhn. Die Vorstellung, Rebecca in den Armen eines anderen wiederzusehen, ließ Vitellius erschauern. Der Römer ballte die Fäuste, er biß sich auf die Unterlippe, während der Priester vorsichtig die Türe öffnete. Vitellius spähte hinein. – Erleichtert atmete er auf: »Nein, das ist nicht jene Rebecca, die ich suche. Den Göttern sei Dank!«
Später, als Aristophanes und der Römer das Judenviertel von Korinth durchstreiften und immer wieder die Frage stellten, ob niemand ein Mädchen namens Rebecca kenne, das einen römischen Gladiator zum Vater habe, und als ihnen immer nur mit einem Schulterzucken geantwortet wurde, meinte der Grieche resignierend: »Unsere Arbeit gleicht der Suche nach einem Kieselstein an den Gestaden des Meeres. Korinth hat hunderttausend Einwohner, Menschen aus aller Herren Länder, die oft nur für kurze Zeit hier ihren Wohnsitz nehmen, wie sollen wir da diese Rebecca finden. Vielleicht ist sie längst in ihre Heimat zurückgekehrt, nach Palästina.«
»Das Judenland ist nicht ihre Heimat«, entgegnete Vitellius, »Rebecca wurde in Rom geboren – nur ihre Eltern stammten aus Judäa.«
»Vielleicht ist sie dann längst nach Rom zurückgekehrt und lebt dort unter einem anderen Namen.«
»Das glaube ich nicht. Sie wäre zu mir gekommen. Jedes Kind in Rom kennt meinen Namen.«
»Und wenn es einen Grund gibt, dir ihre Anwesenheit zu verheimlichen … Weißt du denn, ob sie nicht längst einen Römer zum Mann genommen hat und Mutter einer glücklichen Kinderschar ist? Andererseits besteht aber auch die Möglichkeit, daß Rebecca umgekommen ist. Wer will das wissen?«
»Ja, wer will das wissen«, wiederholte Vitellius entmutigt.
Aristophanes faßte den Römer am Arm: »Das Orakel! Warum befragst du nicht das delphische Orakel?«
»Ich habe bisher wenig auf die Sprüche der Pythia gegeben«, entgegnete Vitellius. »Aber in dieser ausweglosen Situation ist das Orakel wahrscheinlich die letzte Hoffnung.«
»Wir segeln noch heute zurück nach Kirra«, sagte Aristophanes. »Die Pythia weissagt nur noch morgen, bevor das Orakel für vier Wochen seine Pforten schließt. Laß uns aufbrechen, es ist Zeit.«
Die Sklaven hatten alle Hände voll zu tun, um sich durch die Menschenmassen nach vorne zu drängen. »Platz da für den Reeder Aristophanes und für Vitellius, den römischen Gladiator!« Ihrer Forderung verliehen Pictor und Minucius mit Fausthieben und manchmal auch Fußtritten Nachdruck. Graubärtige Stammesfürsten, angetan mit kostbaren Gewändern, wurden von Sklaven in goldstrotzenden Sänften herbeigeschleppt. Einer versuchte dem anderen zuvorzukommen; denn bei Sonnenuntergang verstummte das Orakel. Wer bis dahin seinen Spruch nicht erhalten hatte, mußte vier Wochen warten, bis die Pythia wieder weissagte.
Marktschreier und Wunderheiler priesen ihre Kostbarkeiten an, Wahrsager und Traumdeuter verkündeten großsprecherisch, ihre Prophezeiungen seien ebenso treffsicher wie die der Pythia; und manch einer aus der Menge der Hoffnungsvollen, Verunsicherten und Betrübten ließ sich umstimmen ob der Aussichtslosigkeit, in das Innere des Apollontempels vorzudringen, und vertraute sich einem der zahlreichen Scharlatane an.
Fliegende Händler verkauften Blei und Wachstäfelchen, Schreiber boten ihre Dienste an, um die Fragen an das Orakel in griechischer Sprache schriftlich niederzulegen. Vitellius erstand ein handtellergroßes Wachstäfelchen, reichte es Pictor und diktierte dem Sklaven seine Frage an das Orakel: »Sage mir, Pythia, wo ich Rebecca, die Frau meines Herzens, wiederfinde, ob ich sie überhaupt jemals wiedersehen werde.«
Vitellius und Aristophanes bogen in die Heilige Straße ein, die in einer spitzen Kehre hinauf zum Orakeltempel des Apollon führte. Der Römer blickte den steilen Berghang nach oben und staunte: Terrassenförmig angeordnet türmte sich ein Monument über dem anderen, Schatzhäuser, Denkmäler und Weihegeschenke. »Allesamt Dankesgaben an den
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