Der gläserne Drache Band II (German Edition)
sich in Wigos Wesen eine grundlegende Veränderung zeigte. Er war still und in sich gekehrt, sein sonst so überhebliches Grinsen hatte sich in ein kaum merkliches, verlegenes Lächeln verwandelt. Tanis entdeckte in den Augen des Bruders einen Ausdruck von Schwermut, den er noch nie zuvor gesehen hatte.
Seine Liebschaft mit Mahala hatte er beendet, was zur Folge hatte, dass die junge Frau tagelang mit rotgeweinten Augen durch das Schloss lief, bis Seyfred sie kurzerhand auf eines seiner Güter verbannte.
Dann kam der Tag der Abreise, dem besonders die jungen Liebenden mit Schrecken entgegen gesehen hatten, denn auch Tamira und Amaro zeigten inzwischen offen, dass sie einander zugetan waren.
So gab es einen tränenreichen Abschied, der nur durch die Aussicht auf ein Wiedersehen in fünf Monaten für die jungen Leute erträglich wurde.
Als Wigo zu Tanis trat, um sich von ihm zu verabschieden, sah dieser in den Augen des Bruders eine tiefe Traurigkeit. Zum ersten Mal in ihrem Leben wurden die Zwillinge voneinander getrennt.
Wortlos zog Tanis den Bruder in die Arme und spürte erfreut, dass Wigo die Umarmung innig erwiderte. Auch Malux und Safira umarmten Wigo, und sogar Amaro reichte ihm in einer versöhnenden Geste die Hand.
Dann saßen alle auf, und der Reiterzug verließ das Schloss.
Die Rückreise verlief ohne Vorkommnisse. Als sie die Hauptstadt erreichten, jubelten die Menschen in den Straßen ihrem zurückkehrenden Herrscher zu, denn Mendor war bei seinen Untertanen sehr beliebt.
Wie es Brauch war, hatte sich der gesamte Hofstaat im Burghof versammelt, um den König zu begrüßen.
Aelianos machte ein verblüfftes Gesicht, als er Wigo sah. Suchend blickte er sich nach Tanis um, denn er hatte die Zwillingsbrüder immer nur zusammen gesehen. Tamira und Anina eilten sofort in seine Arme, sobald sie von den Pferden herunter waren, doch Wigo ging nur zögernd auf den alten Magier zu. Aelianos würde natürlich sofort fragen, wo Tanis war, und Wigo schämte sich vor dem alten Freund, den Grund für seine Verbannung aus Torgard zu berichten.
Als Aelianos dem jungen Mann die Hand reichte, merkte er sofort, dass irgendetwas nicht stimmte. Er sah ihn nur kurz an und sagte dann:
„Wenn du dich von der Reise erfrischt hast, solltest du mich im Turm besuchen. Dann können wir reden.“
Wigo bezog wieder das Zimmer, das er vorher mit seinem Bruder geteilt hatte. Der Raum war ihm vertraut, doch seltsam fremd geworden. Niedergeschlagen sank er auf das Bett und fühlte sich mit einmal einsam und verlassen.
Erst hier in dem stillen Zimmer merkte er, wie sehr er Tanis vermisste. Wehmütig dachte er an die Zeit zurück, in der sie hier gemeinsam gelernt, herumgetollt und ihren Zukunftsphantasien nachgehangen hatten.
Die Erinnerung an die tiefe Zusammengehörigkeit, die die vier jungen Leute damals verbunden hatte, fuhr wie ein scharfer Stahl durch seine Seele. Diese Verbundenheit hatte ihnen allen trotz der Gefahren, die ihnen drohten, Halt und Stärke gegeben. Doch diese Zeit war für immer vorbei.
Noch nie in seinem Leben hatte er sich so allein gefühlt! Was sollte er hier am Hof nur tun?
Natürlich würde er – wenn Aelianos es gestattete – zusammen mit Anina und Tamira seine Kenntnisse in der Magie vertiefen. Aber da er nun den Ritterschlag erhalten hatte, fielen die täglichen Unterrichtsstunden weg, denn die Anwärter würden es als seltsam empfinden, wenn er nun noch daran teilnehmen würde.
Sicherlich gehörte es zu den Pflichten eines Ritters, seine Kampffähigkeit durch gelegentliche Übungen zu erhalten, doch das würde seine Zeit wohl nicht ausfüllen. Er konnte nur hoffen, dass der König ihm eine Aufgabe zuweisen würde, die ihm erlaubte, sich zu bewähren.
Seufzend erhob er sich, wusch den Staub der Reise ab und zog sich frische Kleidung an. Dann machte er sich auf den Weg zu Aelianos. Als er an die Tür klopfte und eintrat, kam der Magier gerade aus seinem Laboratorium. Der alte Zauberer musterte Wigo prüfend, dann zog er ihn kurz in die Arme.
„Setz dich, mein Junge, und erzähle!“ sagte er dann. Er ließ sich Wigo gegenüber in seinem alten Lehnsessel nieder und sah ihn auffordernd an.
Wigo schwieg eine Weile, denn er wusste nicht, wie er beginnen sollte. Doch Aelianos drängte ihn nicht.
„Ach, Aelianos, ich habe durch meine eigene Schuld alle meine Freunde und sogar die Liebe meines Bruders verloren!“ stieß Wigo dann plötzlich hervor.
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