Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
deutlich zu äußern.«
Robert brauchte sie nicht zu warnen. Amber fühlte sich nicht nur nicht wohl in Deutschland, ihr war unbehaglich zumute, und ein wenig fürchtete sie sich sogar. Sie wäre mit Freuden wieder abgereist, obwohl alles unzweifelhaft ganz großartig war.
Die Deutschen waren offenbar fest entschlossen, die Welt zu beeindrucken. Am Vorabend waren die Gäste von einer Balletttruppe unterhalten worden, die im Mondschein für sie getanzt hatte. Danach war für sie ein fête champêtre veranstaltet worden.
An diesem Abend waren sie zu einer Gesellschaft bei den Goebbels geladen, die auf Schwanenwerder abgehalten wurde, einer Insel im Wannsee, auf der auch die Mitford-Schwestern erwartet wurden. Amber hatte sich äußerst unwohl gefühlt, als sie mit Diana geplaudert hatte, die sie anfangs so verehrt hatte, mit der sie jetzt aber nichts mehr verband.
»Ich bin froh, wenn wir endlich nach Hause fahren, Robert. Luc hat vorhin geklagt, ihm sei schlecht, und ich wäre wirklich froh, wenn wir heute Abend nicht zu dieser Veranstaltung gehen müssten.«
»Wenn Luc schlecht ist, liegt das vermutlich daran, dass er zu viel Eiscreme verdrückt hat. Bei Gladys ist er in den besten Händen. Es sähe sehr merkwürdig aus, wenn wir jetzt nicht hingingen, nachdem wir uns mit den Channons und dem britischen Botschafter dort verabredet haben.«
Amber seufzte. Natürlich hatte Robert recht. Wie immer war es der äußere Schein, der zählte. Bei ihrer ersten Auseinandersetzung wegen der Deutschlandreise hatte Robert behauptet, sie hätten die Pflicht, sich anzusehen, was in Berlin geschah, und ihre Reaktion sei zu gefühlsbetont.
»Morgen gibt es aber kein Eis mehr, mein Junge«, warnte Robert seinen Sohn in gespielter Strenge.
Sie waren in sein Zimmer gegangen, um ihm gute Nacht zu wünschen, ehe sie gingen. Luc war zwar immer noch blass, doch Gladys, das Kindermädchen, das sie vom Haus am Eaton Square mitgebracht hatten, versicherte ihnen, er habe etwas zu Abend gegessen.
Amber umarmte Luc noch einmal zärtlich. Im September sollte er auf Roberts alte Schule gehen; Roberts alter Koffer war bereits von Osterby gebracht worden. In Lucs Beisein hatten sie auf der Innenseite des Deckels seinen Namen unter den von Robert anbringen lassen, und Luc war dabei schier geplatzt vor Stolz und Begeisterung.
Amber war die Vorstellung verhasst, einen so kleinen Jungen aufs Internat zu schicken, doch Robert hatte ihr versichert, dies entspreche den Gepflogenheiten und Luc werde seine Schulzeit ebenso genießen wie er. Luc jedenfalls schien sich auf sein neues Leben zu freuen, aber sie würde ihn furchtbar vermissen. Ohne ihn würde sich ihr Leben leer anfühlen.
Sie sehnte sich danach, Jay zu schreiben und ihm zu erzählen, was sie seit ihrer Ankunft in Deutschland gesehen und erlebt hatte, doch das war unmöglich. Obwohl sie nicht darüber gesprochen hatten, hatten sich ihre Briefe verändert. Sie klangen inzwischen eher wie die knappen, beinahe unbehaglichen Mitteilungen von Fremden – oder von Menschen, die von Schuldgefühlen geplagt wurden -, und sie schmerzten auf gewisse Weise mehr, als wenn sie sich gar nicht geschrieben hätten. Zumindest hätte Amber dann so tun können, als wäre alles beim Alten; so aber musste sie akzeptieren, dass sie die ihr einst so kostbare Freundschaft verloren hatte.
»Komm, Liebling, sonst kommen wir noch zu spät.«
»Ist gut, Mummy, mir geht es schon viel besser«, versicherte Luc ihr feierlich.
Robert stand ungeduldig in der offenen Tür. Widerstrebend gesellte Amber sich zu ihm. Sie hatte keine Freude an ihrem Aufenthalt in Deutschland. Ihr gefiel die Atmosphäre nicht, sie sehnte sich nach ihrem Zuhause, ihrem Laden und vor allem nach Jay – aber diese Sehnsucht war ihr natürlich verboten …
Auf die Insel Schwanenwerder, wo die Gesellschaft stattfand, kam man über Pontons, die eigens vom Ufer ausgelegt worden waren und von jungen fackeltragenden Nazimädchen beleuchtet wurden.
»Wirklich furchterregend«, sagte Robert mit schleppender Stimme zu Chips Channon, neben dem sie gerade standen.
»Die erhobenen Arme, meinen Sie?«
»Nein, die gefletschten Zähne.«
»Robert«, mahnte Amber unter dem Schutz von Channons Gelächter, »wenn dich jemand hört!«
»Ja, mein Lieber«, meinte auch Channon warnend, »Sie müssen aufpassen. Hitler ist strikt gegen Gentlemen, die einer gewissen sexuellen Orientierung anhängen; zweifellos quält er sie deswegen mit all den
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