Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
ihre Zofe weggeschickt und wollte noch ein halbes Stündchen lesen, ehe sie das Licht ausmachte, doch als sie auf die Frisierkommode blickte, merkte sie, dass sie vergessen hatte, Martha zu bitten, ihren Schmuck Roberts Kammerdiener zu übergeben, damit der ihn sicher wegschloss.
Auch wenn ihr das prächtige Schmuckset aus Rubinen und Diamanten, das von Roberts Großmutter stammte, nie recht gefallen hatte, gehörte es doch zum Familienerbe. Amber stand auf und schlüpfte in ihren Morgenmantel aus cremefarbenem Satin, um den Schmuck selbst zu Robert zu bringen, statt ihre Zofe deswegen noch einmal zu stören.
Sie klopfte an die Verbindungstür zwischen den beiden Hotelzimmern, und als sie keine Antwort bekam, drückte sie einfach die Klinke nieder. Robert hatte seinen Kammerdiener Hulme offensichtlich für diese Nacht bereits entlassen. Das Zimmer wurde nur von der Nachttischlampe erhellt, doch die Tür zum Badezimmer stand offen, in dem ebenfalls Licht brannte.
Da Amber nicht einfach in sein Zimmer eindringen wollte, rief sie zögernd: »Robert, ich bin es. Ich habe vergessen, Martha zu sagen, dass sie Hulme die Rubine geben soll, deswegen bringe ich sie dir selbst. Ich lege sie auf die Kommode.«
Sie legte die Schmuckschatullen ab und wollte gerade das Zimmer verlassen, als sie aus dem Badezimmer ein Geräusch hörte. Es klang, als wäre etwas Metallisches auf die Marmorfliesen gefallen, und gleich darauf ging etwas Schwereres dumpf zu Boden.
Im Nu war sie am Badezimmer und riss die Tür weit auf.
Robert war auf dem Boden zusammengebrochen, und aus einem Schnitt am Handgelenk tropfte Blut. Es strömte nicht, es tropfte, wie Amber zu ihrer Erleichterung feststellte. Ihr Verstand arbeitete fieberhaft, war ihren Gefühlen und ihren Gliedern weit voraus; er sammelte und ordnete Fakten und kam schließlich zu einem Schluss, bei dem ihr das Herz in die Hosen rutschte, während sie gleichzeitig automatisch zum Telefonhörer griff.
Innerhalb einer halben Stunde war das Handgelenk verbunden, und Robert lag sicher im Bett. Sie hatte Hulme gerufen, und gemeinsam hatten sie eine Geschichte von einem Unfall gesponnen. Robert hatte demnach eine Rasierklinge herumliegen lassen, sie vergessen und sich dann daran geschnitten, als er nach der Seife greifen wollte. Der anschließende Sturz war auf den Schock zurückzuführen.
Der Arzt, der gut genug Englisch sprach, um die Situation zu bewältigen, aber nicht gut genug, um Robert zu lange zu befragen, hatte den Schnitt gesäubert und verbunden. Amber hatte er versichert, dass es sich um kaum mehr als einen Kratzer handele und die Beule an seinem Kopf nichts Schlimmeres nach sich ziehen werde als höllische Kopfschmerzen.
Amber hatte das Gefühl, dass der Arzt den Verdacht hegte, Roberts Unfall könnte auf Unachtsamkeit infolge von zu hohem Alkoholkonsum zurückzuführen sein. Sie wurde ermahnt, ein Auge auf Robert zu haben und sich sofort mit dem Arzt in Verbindung zu setzen, falls Robert sich übergeben oder Anzeichen von Verwirrung zeigen sollte.
Robert, der bei Bewusstsein war, während der Arzt mit Amber sprach, hatte kurz darauf verkündet, er sei durchaus im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und wolle es auch weiterhin so halten.
Hat Robert sich wirklich das Leben nehmen wollen?, fragte Amber sich später besorgt, als sie am Bett des schlafenden Robert saß, wo sie und Hulme sich mit der Wache abwechselten, vorgeblich, um eventuelle Anzeichen einer Gehirnerschütterung sofort zu erkennen. In Wirklichkeit waren sie sich beide auch ohne Worte bewusst, was Robert getan hatte und dass es jeden weiteren Versuch zu verhindern galt.
Wieder einmal hatte sie einen Beweis dafür – wenn sie ihn denn noch gebraucht hätte -, was die Liebe Schreckliches anrichten konnte, welches Chaos, welche Verzweiflung sie hervorzurufen imstande war.
Amber sah auf Robert hinunter. Der arme Robert, sicher war der Schmerz so groß geworden, dass er geglaubt hatte, ihn nicht mehr ertragen zu können. Sie nahm die Hand ihres Ehemanns und hielt sie zärtlich.Von jetzt an würde sie dafür sorgen, dass Otto ihm nicht mehr zu nahe kam.
»Robert, ich finde, wir sollten wirklich nach Hause fahren.« In Ambers Stimme schwang Entschlossenheit, ebenso aber Verzweiflung und Furcht, als sie Roberts bleiche, allzu schmale Hand ergriff. Sie saßen auf dem Sofa in dem kleinen Wohnraum ihrer Hotelsuite. Es war zwei Tage her, dass sie ihn im Badezimmer gefunden hatte, und der Arzt hatte erklärt,
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