Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
erhalte«, versicherte Amber ihm.
Wie Jay gelacht hätte, wenn sie ihm berichtet hätte, dass sie nun Mitbesitzerin einer Fußballmannschaft war, überlegte Amber, nachdem Geoff Stanley gegangen war. Aber natürlich konnte sie ihm das nicht erzählen. Sie konnte ihm gar nichts mehr erzählen.
»Sie müssen uns schrecklich provinziell finden, Amber, nachdem Sie so lange in der Londoner Gesellschaft gelebt haben.«
Das Hauptgericht, Filet Wellington, war verzehrt, und die Unterhaltung war ein wenig ins Stocken geraten, wie es nach einer herzhaften Mahlzeit unweigerlich geschah. Die Konzentration wurde genauso gelockert wie die männlichen Hosenbünde, wobei sich Erstere nach Cassandras provozierender Bemerkung rasch wieder zurückmeldete.
Amber konnte die verschiedenen Gefühlsebenen beinahe spüren, welche die gespannte Stille rings um den Esstisch zum Knistern brachten, während der Landadel darauf wartete, wie sie wohl auf Cassandras Bemerkung reagierte. Würde sie das Landleben verteidigen, oder würde sie sich auf die Seite der Londoner Clique schlagen, in der sie sich jetzt bewegte?
Amber unterdrückte einen leisen Seufzer; schwerer zu unterdrücken war das Bedürfnis, mit Jay, der ihr fast direkt gegenübersaß, wissende Blicke zu tauschen. Jay – wie albern, dass ihr Herz so laut klopfte, nur weil es das Echo seines Namens vernahm, den sie still in sich hineingeflüstert hatte. Ihn zu sehen war ein furchtbarer Schock gewesen. Der Abendanzug stand ihm. Er trug ihn mit der lässigen Eleganz eines Mannes, der dazu geboren war. Er wirkte distinguiert und umwerfend attraktiv, während sein düsterer Blick Amber schier das Herz zerriss.
Wie furchtbar grausam von Cassandra, sie auf diese Weise zusammenzubringen. Aber was genau wusste Cassandra eigentlich? Sie hatte sie nur bei einer verbotenen Umarmung ertappt, mehr nicht. Sie hatte keine Ahnung von den Gefühlen, die Ambers Herz quälten, von ihrem Bedürfnis, jeden vertrauten Zug an Jay mit gierigen Blicken aufzusaugen, von ihrer Sehnsucht, ihn zu berühren – die winzigste Berührung wäre ihr genug, ein kurzes Verweilen der Fingerspitzen auf seinem Arm -, von ihrem Wunsch, wenigstens ein kostbares Lächeln zu tauschen. All diese Sehnsüchte, die unerfüllt bleiben mussten.
Vom ersten Moment an, da sie die Einladung zum Dinner bei den Fitton Leghs in der Hand gehalten hatte, hatte sie gewusst, dass es eine schreckliche Prüfung werden würde. Cassandra hatte einen machiavellischen, beinahe gehässigen Zug an sich, den sie nun auf Ambers Kosten auslebte. Da bisher kein Klatsch über sie und Jay in Umlauf war, rechnete Amber nicht damit, dass Cassandra irgendeine direkte Anspielung auf jenen Vorfall machen würde. Allerdings befürchtete sie, dass sie sie mit subtilen kleinen Seitenhieben verspotten und quälen würde, die auf lange Sicht die Neugier und vielleicht sogar das Misstrauen der anderen Gäste erregen würden.
Falls Cassandra vorgehabt hatte, sie angesichts der Dinnereinladung mit düsteren Vorahnungen zu erfüllen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass sie während des Essens wie auf Kohlen saß, hätte sie die Sache nicht besser angehen können, fand Amber. Doch als Cassandra sie und Greg mit der gurrend süßen Ankündigung begrüßte, unter den anderen Gästen seien die Bromley Davenports, die Leghs von Adlington Hall, die Masseys von Dunham Massey und Jay und Lydia, musste Amber erkennen, dass sie Cassandras Boshaftigkeit weit unterschätzt hatte.
Die Jahre, in denen sie ihre Rolle als Herzogin an Roberts Seite gespielt hatte, hatten sie gelehrt, die Würde ihres Rangs zu wahren, indem sie in der Öffentlichkeit ein ruhiges, ausdrucksloses Gesicht aufsetzte, das sie mit Lächeln und Freundlichkeit auflockerte, wenn sie mit Roberts Pächtern zu tun hatte, oder einem Anflug kühler Arroganz, wenn es geboten war, andere daran zu erinnern, mit wem sie es zu tun hatten. Nie hatte sie diese Fähigkeit so sehr gebraucht wie an diesem Abend.
Um Cassandra ja keinen Vorwand zu liefern, ihrer Gehässigkeit freien Lauf zu lassen, hielt Amber sich an diesem Abend strikt an die Maxime, überhaupt keine Reaktion zu zeigen. Nicht einmal dann, als Jay, kurz bevor sie zum Dinner hineingehen wollten, mit einiger Verspätung kam und sich dafür entschuldigte, dass er allein erschien, weil Lydia von einer schrecklichen Migräne heimgesucht worden sei und ihn deshalb nicht begleiten konnte.
»Ich hatte Cassandra angerufen und ihr gesagt, dass wir beide
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