Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
Miene sagte ihr, dass er verstand, was sie meinte. »Komm, ich bringe dich zurück zur Villa.«
»Ich hatte ja keine Ahnung«, sagte sie unsicher.
»Was mit deinem Mann los ist?«
»Nein, das weiß ich natürlich, aber ich habe nicht gewusst … mir war nicht klar … ich hätte nicht gedacht, dass er sich so behandeln lässt.«
Sie zitterte so heftig, dass sie sich nicht wehrte, als Jean-Philippe stützend den Arm um sie legte.
»Otto hat ihm wehgetan, Jean-Phi lippe, richtig wehgetan.« Natürlich hätte sie weder mit Jean-Philippe noch mit sonst jemandem darüber reden dürfen, aber sie konnte die Worte einfach nicht zurückhalten.
»Manche Leute brauchen genau das – Männer wie Frauen«, erklärte er ihr ruhig.
»Aber körperlichen Schmerz empfinden zu wollen …«
Jean-Philippes Miene verriet, dass er ihre Erschütterung nicht teilte. Amber musste sich eingestehen, dass sie wohl naiver war, als sie gedacht hatte.
»Komm«, sagte Jean-Philippe und zog sie fester an sich. »Wenn du erst einmal aus der Sonne bist, fühlst du dich bestimmt bald besser.«
Im Haus war es kühl und still. Gladys hatte Luc zu einer Geburtstagsfeier gebracht, welche für das kleine französische Mädchen veranstaltet wurde, das er am Strand kennengelernt hatte.
»Vielleicht kommt es dir besonders schlimm vor, weil es dich daran erinnert, was Henry dir antun wollte.«
»Ja«, stimmte Amber ihm zu und nippte an der Weinschorle, die Jean-Philippe ihr gereicht hatte.
Sie saßen im Salon, doch als Jean-Philippe sie leichthin fragte: »Möchtest du, dass ich bleibe?«, wusste sie genau, was er damit meinte. Sie nickte rasch und zitterte, als er ihr das Weinglas abnahm und die Tür öffnete.
Diesmal gingen sie zusammen die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer. Diesmal entkleidete sie auch ihn, während er sie entkleidete. Diesmal war ihr Körper willig und bereit. Diesmal übernahm sie selbst Verantwortung für ihr Vergnügen, statt es sich von ihm schenken zu lassen.
Und diesmal war die Freude nicht so überschäumend und dankbar, sondern gedämpfter.
Diesmal war es das letzte Mal, das wusste Amber, denn diesmal hatte sie Jay im Kopf. Sein am Morgen eingetroffener Brief war voller ungesagter Dinge gewesen, die dennoch den Weg in ihr Herz gefunden hatten.
Amber sah Jean-Philippe an, der neben ihr im Bett lag. Die Nachmittagssonne malte Streifen auf seinen nackten Körper.
Jean-Philippe hatte sie mit großer Zärtlichkeit und Leidenschaft geliebt. Körperlich hatte er sie befriedigt, sie fühlte sich träge und vom Liebesspiel gesättigt, doch ihre Seele hatten die intimen Berührungen nicht befriedigen können. Was sie miteinander getan hatten, war nicht machtvoll genug gewesen, um sie die schmerzliche Sehnsucht nach Jay und die tiefe innere Einsamkeit, die mit ihrer Liebe zu ihm Hand in Hand ging, vergessen zu lassen.
Sie war jetzt eine Frau, mit den komplexen emotionalen Ansprüchen einer Frau. Sie war aus der jungmädchenhaften Vorstellung herausgewachsen, einen Mann zu begehren bedeutete, ihn zu lieben.
Sie konnte sich auch nicht mehr einreden, sie könnte die Sehnsucht nach einem Mann mit körperlicher Leidenschaft für einen anderen Mann überdecken. Wenn sie sich durch Zauberhand in Jays Gegenwart hätte versetzen können, hätte eine winzige Berührung oder ein Lächeln ihre Sinne und Gefühle weitaus machtvoller erregen können als sämtliche mit Jean-Philippe geteilten Intimitäten. Auch wenn ihr Körper Befriedigung gefunden hatte, im Herzen dürstete es sie nach etwas, das sie nicht bekommen konnte.
»Amber, ich muss dir etwas sagen.«
Auch der Klang von Jean-Phi lippes Stimme erinnerte sie daran, wonach ihr Herz sich sehnte. »Dein Ehemann ist in großer Gefahr.«
In der Nacht zuvor hatte er zufällig eine Bemerkung zwischen Irenes Schwager und den anderen Deutschen aufgeschnappt, woraufhin er die ganze Unterhaltung belauscht hatte. Er hatte nicht unbedingt vorgehabt, es Amber zu erzählen; andererseits war seine Wahl auf eine Bar gefallen, die der Jacht ihres Gatten gegenüberlag, was bedeutete, dass er Amber höchstwahrscheinlich sehen würde und dann moralisch verpflichtet wäre, sie zu warnen.
Als sie Jean-Philippes Worte hörte, so unerwartet und erschreckend, begann Ambers Herz unbehaglich laut zu klopfen.
»Ich habe selbst gesehen, dass …«
»Non!« , unterbrach Jean-Philippe sie scharf. »Darum geht es nicht. Oder zumindest nicht so … Die Deutschen haben Robert eine Falle gestellt, und er
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