Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
die ihrem eigenen Geschlecht den Vorzug gaben.
Wie dumm von ihr, sich beinahe in ihn zu verlieben. Und es ist nur beinahe passiert, sagte Amber sich entschlossen. Beinahe, mehr nicht. Das war alles. Sie hatte also keinen Grund, sich so gedemütigt zu fühlen. So wie ihre Großmutter, als Barrant de Vries sie abgewiesen hatte? Zu ihrer Überraschung spürte Amber, dass ihr bei dem Gedanken an ihre Großmutter als verletzliche junge Frau Tränen in den Augen brannten.War Blanche je so gewesen? Wenn, dann verbarg sie es inzwischen gut. Wenn, dann hatte Blanche sich irgendwie einen dicken Panzer wachsen lassen, um sich zu schützen.
Es war sinnlos, ihrer Großmutter empfindsame Gefühle anzudichten, die diese womöglich nie gehabt hatte, oder sich mit ihr zu vergleichen. Lord Robert hatte sie nicht abgewiesen. Er war nett zu ihr gewesen. Dieses Gefühl schmerzlichen Verlusts war einfach albern.
Die Band spielte noch dasselbe Stück wie vorhin, als sie das Zelt verlassen hatte, die bunten Lampions warfen immer noch ihr weiches Licht, die anderen jungen Frauen kicherten und flirteten immer noch mit ihren Tanzpartnern. All das war noch genauso wie vorher, und doch wusste Amber, dass sich etwas in ihrem Innern für immer verändert hatte.
Es lag nicht nur daran, dass sie sich leicht in Lord Robert hätte verlieben können, es war mehr als das. Etwas in ihrem Innern zuckte vor dem zurück, was sie gesehen hatte. Sie konnte es jedoch nicht vergessen, genauso wenig, wie eine falsche Farbe aus einem Stück Seide gewaschen werden konnte. Ein kluger Designer mochte eine Möglichkeit finden, die Farbe in einen neuen Entwurf zu integrieren und zu kaschieren, doch er selbst würde sie immer wahrnehmen, egal wie gut sie den Augen der Unwissenden verborgen blieb.
Wie furchterregend die Liebe sein konnte und wie schmerzlich. Wie verwirrend und schwer zu verstehen. Die Menschen waren nicht immer das, was sie zu sein schienen. Der arme Lord Robert, er hatte so gequält ausgesehen.
Sie fühlte sich jetzt anders, irgendwie älter und erwachsener. Und stärker, erkannte Amber, denn sie musste um ihrer selbst willen stark sein. Doch wie konnte sie stark sein, wenn sie sich so verletzt fühlte, so betrogen? Sie hatte Lord Robert vertraut und geglaubt, sie wären Freunde, doch sie hatte ihn nicht gekannt. Bei dieser Erkenntnis fühlte sie sich sehr einsam. Lord Robert und die Freundschaft zu ihm waren zum Symbol geworden, fast zum Prüfstein, für sie und ihre Zukunft und alles, was sie sich davon erhoffte. Sie hatte ihm von ihren Träumen erzählt, sich ihm anvertraut, geglaubt, es gäbe eine besondere Bindung zwischen ihnen. Doch wie konnte das sein, wenn sie etwas so Wichtiges über ihn nicht gewusst hatte? Sie hatte ihn überhaupt nicht gekannt. Was sie gekannt hatte, war eine Schimäre, eine Erfindung. Wie konnte sie je wieder ihrem Urteil trauen?
Hieß es das, erwachsen zu werden? Zu lernen, anderen nicht zu vertrauen, zu lernen, sich nicht auf sie zu verlassen oder sie für bare Münze zu nehmen? Zu lernen, dass man akzeptieren musste, dass da, wo Liebe war, auch Schmerz war? Konnte sie all das ertragen? Traurig und mit schwerem Herzen gestand Amber sich ein, dass sie es ertragen musste.
Nie wieder würde sie ihre Gefühle so offen vor sich hertragen, schwor sie sich. Diese Amber gab es nicht mehr. Die neue Amber würde anders sein, klüger, weniger verletzlich und weniger leichtgläubig.
11
Mai 1930
Die Wochen flogen so rasch vorüber, dass Amber das Gefühl hatte, ihr bliebe kaum Zeit zum Atemholen.
Unter der strengen Begleitung der Gräfin hatten sie und Beth Lunchgesellschaften besucht, schicke Pferderennen, Nachmittagstees und natürlich jeden Abend Gesellschaften und Debütbälle.
Ein paar Debütantinnen, darunter auch Beth und Amber, waren sogar in den Kit-Cat Club geführt worden, wo sie nervös am Tisch gesessen und sich Mühe gegeben hatten, nicht zu ehrfürchtig auszusehen, als sie den Prince of Wales mit seiner Entourage erspähten.
Amber hatte sich nach Lord Robert umgeschaut, obgleich sie von Beth wusste, dass er Freunde in Yorkshire besuchte. Seit jenem Ballabend hatte sie ihn nicht mehr gesehen, und obwohl sie sich sehr zusammenriss, vermisste sie den Spaß, den sie miteinander gehabt hatten. Das nervöse kleine Herzflattern, das sie bei dem Gedanken an ihn immer verspürt hatte, stellte sich allerdings nicht mehr ein.
Wen Beth und sie im Club dafür entdeckten, das war Louise, die mit ihrem
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