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Der Glanz des Mondes

Der Glanz des Mondes

Titel: Der Glanz des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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ist zu gefährlich. Du kannst nicht allein dorthin!«
    Ich hörte, wie er seinen Bogen löste und einen Pfeil anlegte. Die Pferde platschten und spritzten durch das seichte Wasser. Eine Erinnerung begann sich in meinem Kopf zu formen, jene an einen anderen Fluss, der aus anderen Gründen unüberwindlich war. Ich wusste, was - oder eher wen - ich antreffen würde.
    Jo-An war dort, halb nackt, nass bis auf die Haut, und mit ihm mindestens dreißig Ausgestoßene. Sie hatten vom Hochwasser angespülte Baumstämme von der Anlegestelle geholt, zusätzliche Bäume gefällt und ausreichend Schilfrohr geschnitten, um eine ihrer schwimmenden Brücken zu bauen.
    Als sie mich sahen, hielten sie in ihrer Arbeit inne und sanken dort im Schlamm vor mir auf die Knie. Ich meinte einige von den Gerbern wiederzuerkennen. Sie waren so ausgemergelt wie eh und je und in ihren Augen brannte immer noch dasselbe sehnsüchtige Feuer. Ich versuchte mir auszumalen, welche Überwindung es sie gekostet haben musste, sich zusammen mit Jo-An aus dem Gebiet ihres Herrn fortzustehlen und sämtliche Vorschriften zum Fällen von Bäumen zu missachten - und all dies nur für die vage Hoffnung, dass ich ihnen Frieden und Gerechtigkeit bringen würde. Nicht auszudenken, welches Leid sie erdulden müssten, wenn ich sie im Stich ließe.
    »Jo-An!«, rief ich und er trat an mein Pferd heran. Es schnaubte in seine Richtung und wollte sich aufbäumen, aber er griff nach dem Zügel und beruhigte es. »Sag ihnen, sie sollen weitermachen«, wies ich ihn an und fuhr fort: »Nun stehe ich noch tiefer in deiner Schuld.«
    »Sie schulden mir nichts«, entgegnete er. »Gott jedoch alles.«
    Makoto kam an meine Seite geritten und ertappte mich bei dem inständigen Wunsch, dass er Jo-Ans Worte nicht gehört hatte. Unsere Pferde berührten sich mit den Nüstern und der schwarze Hengst wieherte erregt und versuchte nach dem anderen zu beißen. Jo-An versetzte ihm einen Schlag auf den Hals.
    Makoto musterte Jo-An. »Ausgestoßene?«, fragte er ungläubig. »Was tun die denn hier?«
    »Uns das Leben retten, indem sie eine schwimmende Brücke bauen.«
    Er ließ sein Pferd ein paar Schritte zurückweichen. Ich sah, wie sich unterhalb des Helms sein Mund verzog. »Niemand wird sie benutzen…«, begann er, doch ich schnitt ihm das Wort ab.
    »Sie werden es tun, weil ich es befehle. Es ist unsere einzige Chance zu entkommen.«
    »Wir könnten umkehren und uns bis zur Brücke bei Yamagata durchkämpfen.«
    »Und damit unseren Vorsprung verspielen? Außerdem wären sie uns fünffach überlegen. Und es gäbe keine Rückzugsmöglichkeit. Das lasse ich nicht zu. Wir überqueren den Fluss auf dieser Brücke. Reite zu den Männern zurück und bring so viele wie möglich her, damit sie den Ausgestoßenen zur Hand gehen. Der Rest soll alles für die Überquerung des Flusses vorbereiten.«
    »Niemand wird die Brücke passieren, wenn sie von Ausgestoßenen gebaut wird«, sagte er, und irgendetwas in seiner Stimme, ein gewisser Unterton - als spräche er zu einem Kind - entfachte meinen Zorn. Es war dieselbe Wut, die ich vor vielen Monaten in Hagi verspürt hatte, als Shigerus Wachen Kenji in den Garten gelassen hatten, getäuscht von seinen Künsten, ohne zu bemerken, dass er ein Meisterattentäter des Stamms war. Ich konnte meine Männer nur beschützen, wenn sie mir gehorchten. Ohne zu bedenken, dass Makoto älter, weiser und erfahrener war als ich, ließ ich mich von meinem Jähzorn hinreißen.
    »Tu auf der Stelle, was ich dir befehle. Überzeuge sie oder du wirst dich mir gegenüber dafür verantworten müssen. Die Krieger sollen als Wachen eingesetzt werden, solange die Packpferde und das Fußvolk die Brücke überqueren. Hol Bogenschützen her, die der Brücke Deckung geben. Wir werden sie noch vor Einbruch der Nacht überqueren.«
    »Lord Otori.« Er verneigte sich und sein Pferd sprengte durch die Reisfelder davon und weiter hinten den Hang hinauf. Ich sah ihn zwischen den Bambusrohren verschwinden und wandte meine Aufmerksamkeit wieder den arbeitenden Ausgestoßenen zu.
    Sie banden das gesammelte Holz und die gefällten Baumstämme zu Flößen zusammen, jedes mit einem Unterbau aus gestapeltem Schilfrohr, das mit geflochtenen Kordeln aus Rinde und Hanf zu Bündeln geschnürt war. Die fertigen Flöße wurden zu Wasser gelassen und mit den anderen verbunden, die bereits vertäut waren. Doch die starke Strömung drückte sie immer wieder an die Uferböschung.
    »Sie müssen auf der

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