Der Glanz des Mondes
Schriftkunst zu lehren als auch im Stockfechten und Speerwurf zu trainieren. Jiro erwies sich als gelehriger Schüler. Im Laufe des Sommers schien er mehrere Zentimeter zu wachsen und auch kräftiger zu werden, nun, da er anständig aß. Ab und an schlug ich ihm vor, dass er zu seiner Familie nach Kibi zurückkehren und dort bei der Ernte helfen sollte, doch er bettelte, bei uns bleiben zu dürfen, und schwor, bis ans Ende seiner Tage keinem anderen zu dienen als mir oder Makoto. Seine Art war typisch für die meisten der Bauernsöhne, die sich mir angeschlossen hatten, um zu kämpfen: gewitzt, mutig und stark.
Wir bewaffneten sie mit langen Speeren und statteten sie mit Lederrüstungen aus, eingeteilt in Einheiten zu je zwanzig Mann, jede mit einem eigenen Anführer. Alle, die echtes Interesse zeigten, bildeten wir zum Bogenschützen aus. Ich zählte sie zu meinen besten Kräften.
Am Nachmittag des dritten Tages erreichten wir die Küste. Die Gegend war nicht so trostlos wie die um Matsue; an diesem späten Sommertag wirkte sie eigentlich sogar schön. Mehrere Inseln mit Steilküsten ragten aus dem ruhigen Meer auf, das tiefblau war, beinahe indigo. Der leichte Wind formte dreieckige Wellen auf der Wasseroberfläche, die wie Messerklingen aussahen. Die Inseln schienen unbewohnt zu sein; nichts unterbrach das satte Grün der Kiefern und Zedern, das sich auf ihnen ausbreitete.
In der Ferne, im Nebel gerade noch zu sehen, erkannten wir die wuchtigen Umrisse von Oshima, den Kegel des Vulkans, der sich in Wolken hüllte. Jenseits davon, für uns unsichtbar, lag die Stadt Hagi.
»Wahrscheinlich ist dies die Höhle des Drachen«, sagte Makoto. »Und wie gedenkst du dich ihr zu nähern?«
Von der Klippe, wo unsere Pferde standen, führte die Straße hinab in eine kleine Bucht mit einem Fischerdorf - ein paar armselige Hütten, Boote, die auf dem Kiesstrand trocken lagen, die Tore eines Schreins zu Ehren des Meeresgottes.
»Von dort aus könnten wir in See stechen«, sagte ich unsicher, denn das Dorf wirkte verlassen. Die Feuer, die die Fischer abbrennen, um aus dem Meerwasser Salz zu gewinnen, waren nichts als Haufen schwarz verkohlter Holzscheite und nichts schien sich zu regen.
»Ich war noch nie auf einem Schiff!«, rief Jiro. »Außer beim Überqueren eines Flusses.«
»Ich auch nicht«, brummte Makoto, zu mir gewandt, als wir die Pferde wendeten und den Weg ins Dorf einschlugen.
Die Dorfbewohner hatten uns bereits entdeckt und sich versteckt. Als wir uns den Hütten näherten, versuchten sie wegzurennen. Die Schönheit der Umgebung täuschte. Ich hatte in den Drei Ländern schon viele verarmte Menschen gesehen, aber diese hier waren bei weitem die ärmsten und elendesten. Meine Männer liefen einem hinterher, der den Kiesstrand entlangstolperte, mit einem etwa zweijährigen Kind auf dem Arm. Langsam, wie er mit seinem Sohn war, holten sie ihn spielend ein und schleiften die beiden wieder zurück. Das Kind heulte, aber der Vater hatte die Züge eines Mannes, dem Kummer und Angst nichts mehr anhaben konnten.
»Wir werden euch nichts zu Leide tun und nichts wegnehmen«, sagte ich. »Ich suche nur jemanden, der mich nach Oshima bringt.«
Er starrte mit ungläubiger Miene zu mir hoch. Einer der Männer, die ihn festhielten, versetzte ihm eine kräftige Ohrfeige.
»Antworte gefälligst, wenn Seine Lordschaft dich etwas fragt!«
»Seine Lordschaft? Das wird ihn auch nicht vor Terada retten. Wisst ihr, wie wir Oshima nennen? Das Tor zur Hölle.«
»Hölle oder nicht, ich muss dorthin«, erwiderte ich. »Und ich gedenke dafür zu zahlen.«
»Was nutzt uns denn Silber?«, sagte er verbittert. »Wenn jemandem zu Ohren kommt, dass ich Silber besitze, wird er mich dafür töten. Ich lebe bloß noch, weil mir nichts geblieben ist, was sich zum Stehlen lohnen würde. Banditen haben mir bereits meine Frau und meine Töchter genommen. Mein kleiner Sohn war noch nicht entwöhnt, als sie seine Mutter entführten. Ich habe ihn von in Wasser und Sole eingeweichten Lumpen ernährt. Ich habe Fisch zerkaut und ihn mit dem Mund gefüttert wie ein Seevogel. Ich kann ihn nicht zurücklassen, um mit Ihnen nach Oshima in den sicheren Tod zu ziehen.«
»Dann suche uns jemanden, der mich hinbringt«, sagte ich. »Wenn wir zurück in Maruyama sind, werden wir euch Soldaten schicken, die die Banditen unschädlich machen. Die Domäne gehört nun meiner Frau, Shirakawa Kaede. Wir werden dafür sorgen, dass dieses Dorf hier sicher
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