Der Glanz des Südsterns: Roman (German Edition)
Lyle tun musste, und sie verstand auch, wieso. Er wollte sich von ihr trennen und nach Schottland zurückgehen, um da mit Millie und dem Baby zu leben. Sie sah, dass die Situation ihn innerlich zerriss, aber er hatte sich entschieden, das Richtige, das Ehrenhafte, zu tun. Und das würde er nun auch tun. Doch das nahm ihr nicht ihren Drang, vor Enttäuschung zu schreien.
»Dann sagen wir uns also jetzt Lebewohl, mein Liebster«, flüsterte Elena. »Dem Schicksal ist es gelungen, uns auseinanderzureißen. Dein Sohn oder deine Tochter muss die Liebe und die Unterstützung eines Vaters kennenlernen. Ich verstehe, dass du dein Kind nicht verlassen willst.« Ihr Herz fühlte sich an, als sei es in eine Million Teile zersprungen, aber ihr Stolz hielt sie davon ab zu zeigen, wie tief verletzt sie sich fühlte. Sie musste die Starke sein, denn wenn sie zusammenbrach, wäre Lyle völlig verloren. »Geh jetzt«, sagte sie. »Geh!«
Lyle stand auf, sein Gesicht nass von Tränen. Er schaute auf seine geliebte Elena, aber sie sah ihn nicht an. Ihr Gesicht war völlig ausdruckslos. Sie musste ihn für das verachten, was er ihr angetan hatte.
Lyle drehte sich um, schob den Vorhang zur Seite und ging wie gelähmt davon.
Elena schloss fassungslos die Augen. Sie konnte nicht zusehen, wie er durch die Tür ging – aus ihrem Leben heraus. Sie konnte es einfach nicht.
Am nächsten Tag kam Lyle noch einmal auf die Grippestation. Er hatte die schlimmste Nacht seines Lebens verbracht und musste sich davon überzeugen, dass mit Elena alles in Ordnung war. Sie war nicht mehr da. Gordon erzählte ihm, sie habe sich am Nachmittag zuvor selbst entlassen und sei nach Hause zu ihren Eltern gegangen. Lyle wusste, es war unwahrscheinlich, dass er sie je wiedersehen würde. Er reichte im Krankenhaus seine Kündigung ein. Ein paar Tage später saß er im Zug auf dem Weg zurück nach Dumfries, um sein neues Leben zu beginnen, sein Leben mit Millie und dem Baby, das sie beide erwarteten.
6
Der erste Weihnachtsfeiertag des Jahres 1918 war ein besonderer, wenn auch zurückhaltend begangener Festtag für die kleine Ortschaft Dumfries. Heiligabend hatte es heftig geschneit, die Landschaft war bedeckt von einem weißen Tuch, das in dem wässrigen Morgenlicht wie flauschige Watte aussah. Die Temperatur war unter null Grad gefallen, aber im Allgemeinen herrschte gehobene Stimmung unter den Einwohnern des Städtchens. Der Krieg war aus, und alle hofften auf eine bessere Zukunft. Wer von den Soldaten dazu in der Lage war, kehrte zu seiner Familie zurück, auch alle, die in der Rüstungsindustrie gearbeitet hatten, wie Millies Bruder Andrew und Lyles Schwester Aileen, kamen zurück. Doch niemand konnte oder wollte die Männer vergessen, die nicht heimgekehrt waren.
Zu Mittag aß Lyle zusammen mit seinen Geschwistern Aileen und Robbie bei seinen Eltern. Seit fünf Uhr früh war Mina MacAllister mit dem Kochen beschäftigt gewesen, aber sie hielt sich für eine der glücklichsten Mütter auf Erden. Ihr Mann und alle Kinder waren am Esstisch versammelt, als sie den Gänsebraten mit Röstkartoffeln, Pastinaken und Möhren auftrug. Es war Tradition bei ihnen, anschließend am Kamin zu sitzen, während Mina zum Nachtisch beschwipsten Rhabarber-Crumble mit Sahne servierte. Die mit Whisky aromatisierte Nachspeise aßen sie alle zu Weihnachten besonders gern. Als das Kaminfeuer die freudigen Gesichter zum Glühen gebracht hatte, konnte Mina sich entspannen. Sie durfte sich auf eine verheißungsvolle Zukunft freuen, auf eine Hochzeit und ein Enkelkind.
Später am Nachmittag ging Lyle zu Fuß die drei Meilen durch knietiefen, pulvrigen Schnee zu Millies Familie. Sein Vater hatte ihm sein altes Pferd Wee-Willie und den Einspänner angeboten, aber er wollte lieber laufen, damit er wenigstens eine kleine Weile mit seinen Gedanken allein sein konnte. Als er bei Millie ankam, war er bis auf die Knochen durchgefroren, aber der Körperteil, den er sich taub und gefühllos wünschte, sein Herz, schmerzte immer noch, wenn er an Elena dachte. Und er dachte ohne Unterlass an sie. Bei Millie trank er heiße Milch mit viel Whisky und hoffte, so seine Gedanken verscheuchen zu können, aber er versagte kläglich.
Jock Evans ging es von Tag zu Tag besser, aber ganz war er körperlich immer noch nicht wieder auf der Höhe, was ihn sehr frustrierte. Es wurde viel über die bevorstehende Hochzeit geredet, und man schmiedete Pläne für den Neujahrstag. Lyle lächelte, wenn es
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