Der Glanz des Südsterns: Roman (German Edition)
Hause zu sein, ehe er sich in dem sacht fallenden Schnee zu seinem Spaziergang aufmachte.
Lyle vergaß die Zeit und marschierte Meile um Meile. Der Schnee fiel nun dichter, aber das nahm er kaum wahr. In seinem Kopf herrschte ein solcher Aufruhr, dass er gar nicht spürte, wie die Temperatur unter null Grad sank.
Nach einer Weile verlor Lyle die Orientierung. Er versuchte, sich wieder zurechtzufinden, aber die Landschaft war so verschneit, dass er nichts erkannte, woran er sich hätte orientieren können, und die Wege waren schlecht ausgeschildert. Lyle mochte es kaum glauben, aber zum ersten Mal in seinem Leben hatte er sich hoffnungslos verirrt. Er hatte keine Ahnung, in welche Richtung er gehen sollte.
Lyle irrte noch eine Weile umher, dann ließ er sich erschöpft und steif vor Kälte auf eine verschneite Bank sinken, die am Wegrand stand. Er spürte, wie ihm die Sinne schwanden, aber er wusste, er durfte nicht einschlafen, dann würde er den Tod durch Unterkühlung finden.
Plötzlich nahm er aus der Ferne ein Geräusch wahr – das Schnauben eines Pferdes. Lyle sah erleichtert, wie sich ein Fuhrwerk näherte. Der Farmer hielt an, half ihm auf den Bock und brachte ihn zu dem nächstgelegenen Haus, denn er war sich nicht sicher, ob der Mann, den er am Wegrand aufgelesen hatte, es noch lange in der Kälte aushielt, und seine Farm war ein ganzes Stück weit entfernt.
Das Haus, an dem sie anklopften, war in den Sommermonaten eine Gastwirtschaft, die den Winter über geschlossen hatte. Der Besitzer und seine Frau waren allein und schon recht alt, aber sie nahmen Lyle freundlich auf und gaben ihm eine Tasse Glühwein, damit er sich aufwärmen konnte. Lyle kam sich wie ein Eindringling vor, besonders, da es Weihnachten war, aber die beiden Alten behaupteten, sie fühlten sich geehrt und empfänden es als Segen, einen Besucher zu haben.
Sie luden ihn ein, ihr Weihnachtsessen, eine herzhafte Suppe und ein Stück knuspriges, warmes Brot, mit ihnen zu teilen. Dabei fand Lyle heraus, dass die zwei ihre beiden Söhne im Krieg verloren hatten. Einer der beiden war in Lyles Alter gewesen, auf eine merkwürdige Art war sein Besuch also ein Glück. Und als Lyle gefragt wurde, weshalb er allein im Schnee unterwegs sei, statt mit seiner Familie Weihnachten zu feiern, brach es plötzlich aus ihm heraus. Ohne jede Zurückhaltung schüttete Lyle den beiden alten Leuten sein Herz aus, erzählte ihnen von Jamie und von seinem Vater und wie schrecklich das Jahr 1931 für ihn gewesen war. Es fiel ihm leicht, mit ihnen zu reden, leichter als mit seiner engsten Familie, und es war tröstlich, dass sie besser als jeder andere seinen Verlust verstanden. Sie alle drei spürten, dass sie sich an diesem so traurigen Tag gegenseitig brauchten.
Jeder in seine Gedanken versunken, saßen sie noch eine Weile am bullernden Kaminfeuer, dann bat Lyle um eine genaue Wegbeschreibung für seinen Heimweg. Wenn er sich nicht bald aufmachte, würde es dunkel, und er verlief sich noch einmal. Als er aufstand, fiel sein Blick auf einen Stapel alter Zeitungen neben dem Kamin, die der Gastwirt zum Feueranzünden benutzte, und ein Artikel fesselte seine Aufmerksamkeit. Fliegende Ärzte im australischen Outback gesucht . In dem Artikel ging es um einen Reverend namens Flynn, der in Cloncurry, Queensland, eine Organisation ins Leben gerufen hatte, für die er Ärzte suchte, die die Menschen dort medizinisch versorgen sollten. Die Zeitung war schon etwas älter, aber Lyle riss den Artikel heraus und steckte ihn sich in die Tasche, bevor er sich von den beiden Alten verabschiedete und sich herzlich bedankte.
Zwei Tage später, nach der Beerdigung seines Vaters, setzte er sich hin und schrieb einen Brief an Flynn.
Die ersten Wochen des Jahres 1932 war Lyle damit beschäftigt, seiner Mutter beim Verkauf des Hauses zu helfen, in dem sie mit seinem Vater knapp vierzig Jahre gelebt hatte. Die persönliche Habe musste geordnet und das Mobiliar verkauft werden. Aileen war Anfang des Jahres mit ihrer Familie nach Edinburgh gezogen, und Mina hatte vor, zu ihr zu ziehen, weil sie nicht länger in einer Stadt wohnen wollte, in der zu vieles sie an Tom erinnerte.
»Ich verlasse dich gar nicht gern«, sagte sie an dem Tag, an dem sie das Geld für den Hausverkauf erhielt, zu Lyle.
»Darüber haben wir jetzt doch schon mehrfach gesprochen, Mom. Dieser Umzug wird dir guttun«, erwiderte Lyle.
»Aber ich mache mir Sorgen um dich, Lyle.«
Das Schwerste daran, aus
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