Der Glanz des Südsterns: Roman (German Edition)
Freundschaft nennst du das«, sagte Lyle wütend.
»Stimmt genau«, antwortete Millie auftrumpfend.
»Und mit wem unterhältst du diese Freundschaft? «, fragte Lyle sarkastisch.
»Das geht dich nichts an.«
»Es dürfte nicht allzu schwer herauszufinden sein«, knurrte Lyle. »Und ich glaube nicht, dass diese sogenannte Freundschaft rein platonisch ist.«
»Was kümmert dich das?«, fragte Millie verbittert. »Du willst mich doch nicht. Also wieso stört es dich, dass ein anderer mich will?«
Lyle war, als hätte er einen Schlag in den Magen bekommen. Er drehte sich weg von Millie, schnappte sich seinen Mantel vom Garderobenständer und ging zur Haustür.
»Ja, los, geh wieder weg, Lyle. Das kannst du sowieso am besten«, rief Millie voller Abscheu.
Lyle schlug die Tür zu, als er das Haus verließ. Er warf sich den Mantel über die Schultern und lief durch den Vorgarten auf das kleine Gartentor zu. Es stimmt also, dachte er. Mit Riesenschritten ging er weiter, um zwischen sich und Millie schnell eine große Entfernung zu bringen. Sie hatte zugegeben, dass sie sich mit einem anderen Mann traf. Lyle war schockiert. Er wusste, er würde herausfinden, wer der andere war. Aber wollte er das wirklich wissen?
15
Am Tag vor dem Weihnachtsfest, dem ersten, das er und Mina seit Jamies Geburt ohne ihr Enkelkind feiern würden, ging Tom MacAllister nach draußen, um auf dem Weg, der von der Hintertür zum Holzschuppen führte, Schnee zu schaufeln.
»Pass auf, dass du nicht ausrutscht!«, warnte Mina, als sie hinter ihm die Küchentür schloss, um die eisige Kälte aus dem Haus fernzuhalten.
Das Feuer im Herd brannte im Winter Tag und Nacht, damit sie jederzeit Wasser heiß machen und kochen konnten, aber auch, damit sie es im Haus behaglich hatten, und Mina wollte die kostbare Wärme nicht entweichen lassen.
Am Morgen hatte sich Tom nicht ganz wohlgefühlt, aber zu seiner Frau hatte er nichts gesagt. Der Tod ihres Enkels hatte Mina schwer getroffen, und er wollte ihr nicht noch mehr Sorgen machen, erst recht nicht so kurz vor dem Weihnachtsfest. Als Tom die Hälfte des Weges freigeräumt hatte, merkte er, dass er ungewöhnlich stark schwitzte und Probleme beim Atmen hatte. Er versuchte, sich den obersten Mantelknopf aufzumachen, aber seine Handschuhe hinderten ihn daran. Verärgert ließ er die Schaufel fallen, um seine Handschuhe auszuziehen, aber seine Finger waren steif vor Kälte, und so schaffte er es nicht. Auf einmal fuhr ein Schmerz durch seinen linken Arm, und ihm wurde schwindlig. Ich brauche Hilfe, dachte Tom. In der Hoffnung, Mina dort zu sehen, drehte er sich zum Küchenfenster um, aber sie war nicht da.
Als Mina ein paar Minuten später zur Spüle ging, von wo sie in den Garten sehen konnte, blieb ihr das Herz stehen. Ihr Mann lag neben einem Haufen Schnee auf dem halb freigeräumten Weg.
»Tom«, schrie sie, als sie zur Hintertür stürzte, sie aufriss und hinausrannte. »Tom!«
Er muss ausgerutscht sein, dachte sie, er wird sich verletzt haben. Als Mina ihren Mann erreichte, klopfte sie ihm auf die Wangen.
»Tom! Was ist mit dir? Tom!«, rief sie immer und immer wieder, aber es kam keine Reaktion von ihm.
Tom war tot.
Der plötzliche Verlust seines Vaters, der an einem schweren Herzinfarkt gestorben war, warf Lyle völlig aus der Bahn. Gerade sieben Monate war es her, seit sie Jamie verloren hatten, und sein Vater und sein Sohn waren die beiden Menschen auf der Welt gewesen, denen er sich am nächsten gefühlt hatte. Lyle war am Boden zerstört.
Obwohl Millie sicher war, dass sie zurückgewiesen werden würde, versuchte sie, Lyle zu trösten. Wie erwartet, machte er jegliche ihrer Versuche, Mitgefühl zu zeigen, zunichte und behauptete, ihre Gesten seien unaufrichtig.
Auf ihre gewohnte stoische Art beharrte Mina darauf, am ersten Weihnachtsfeiertag in die Kirche zu gehen. Sie sagte zu ihrer Familie, Tom hätte gewollt, dass sie so weitermachten wie bisher, und sie müsse einmal weg aus dem Haus und von dem beständigen Strom von Menschen, die ihr kondolieren wollten. Aileen und Robbie gaben ihr Recht und begleiteten Mina mitsamt ihren Ehepartnern und Kindern zur Kirche, Lyle weigerte sich jedoch mitzukommen. Seine Mutter war verärgert, aber wie seine Geschwister verstand sie letztendlich, dass ihm nicht der Sinn nach Weihnachten stand. Das hielt sie allerdings nicht davon ab, sich Sorgen um Lyles Gemütsverfassung zu machen. Sie nahmen ihm das Versprechen ab, zur Mittagszeit wieder zu
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