Der Glanz des Südsterns: Roman (German Edition)
Dumfries wegzuziehen, war für Mina die Tatsache, dass sie Lyle zurückließ. Sie hatte gemerkt, dass sie ohne Tom nicht mehr im Haus der Familie wohnen bleiben konnte. Jedes Mal, wenn sie aus dem Küchenfenster schaute, durchlebte sie wieder den Moment, in dem sie ihren Mann im Schnee liegen sah. Das Fortgehen war schwer, aber die Erinnerungen waren weit schmerzlicher. Mina jedoch machte sich auch Gedanken um die seelische Verfassung ihres Sohnes. Er war über den Verlust Jamies in tiefe Verzweiflung versunken, und er vermisste seinen Vater, zu dem er von jeher ein besonders enges Verhältnis gehabt hatte.
Lyle wusste, dass seine Mutter ein fabelhafter Mensch war und dass sich unter der rauen Fassade der Frau aus den Highlands ein weiches Herz verbarg. Im Gegensatz zu seinem Vater sprach sie nur höchst selten über ihre Gefühle, also begriff Lyle, wie schwer für sie das Eingeständnis war, dass sie sich hin und her gerissen fühlte, weil sie ihn zurückließ.
»Ich habe vor, mit meinem Leben in Zukunft etwas anderes anzufangen, Mom«, sagte er. »Ich bin also heilfroh, dass Aileen sich um dich kümmern wird.«
Mina verstand nicht, was Lyle meinte. »Willst du fort aus Dumfries und woanders arbeiten, Junge?«
»Ich denke schon«, antwortete Lyle vage.
Mina war längst daran gewöhnt, dass ihr Sohn wenig davon preisgab, wie er über die Dinge dachte. In der Hinsicht war er ihr ähnlich.
»Vielleicht findest du ja eine Stelle in Edinburgh«, sagte sie erwartungsvoll. Robbie hatte ein Mädchen aus Falkirk geheiratet, was nicht weit weg von Edinburgh war. Wenn also Lyle nach Edinburgh zöge, hätte sie alle Kinder in der Nähe. »Aileen meinte, es gebe mehrere Krankenhäuser in der Stadt, also könntest du ja vielleicht in das Hospital zurück, in dem du deine Ausbildung absolviert hast.«
»Ich bin nicht wild darauf, in einer Stadt zu arbeiten«, entgegnete Lyle. Er hatte nicht die Absicht, das je wieder zu tun.
»Es gibt auch viele kleine Orte auf dem Land nicht weit von Edinburgh.«
»Ich werde dir meine Pläne mitteilen, wenn sie endgültig sind, Mom. Aber jetzt wollen wir erst einmal dafür sorgen, dass du gut bei Aileen unterkommst.«
Mina war eine Woche weg, als Lyle von Reverend Flynn hörte. Der Brief enthielt nur die Mitteilung, auf die er gehofft hatte. Er hatte bereits Vorkehrungen für die Übernahme der Praxis durch Dougal Duff getroffen, und sie hatten einen weiteren Arzt eingestellt, der ihnen helfen sollte, doch über seine Pläne hatte Lyle keinerlei Andeutungen gemacht.
Als Millie mal wieder aus dem Haus gegangen war, um den Mann zu treffen, aus dem sie kein Geheimnis mehr machte, packte Lyle einen Koffer und stieg in einen Zug nach London. Dort blieb er ein paar Tage, um sich um seine Finanzen und seinen Pass zu kümmern, ehe er einen Zug nach Southampton nahm, wo er ein Schiff bestieg, das nach Australien fuhr.
Dass ihr Mann fortgegangen war, wurde Millie erst klar, als sie merkte, dass sie ihn seit Tagen schon nicht mehr gesehen hatte. Anfangs hatte sie gedacht, sie hätten sich einfach immer nur verpasst, aber dann fiel ihr auf, dass niemand mehr in Jamies Bett geschlafen hatte. Millie stellte fest, dass Lyles Koffer fehlte und etliche seiner Kleidungsstücke nicht mehr im Schrank hingen. Sie nahm an, er sei für ein paar Wochen weggefahren, wie er das zuvor schon einmal getan hatte, und sie war verärgert, weil er nicht die Höflichkeit besessen hatte, es ihr mitzuteilen. Dass er nie mehr zurückkommen könnte, kam ihr überhaupt nicht in den Sinn.
16
Am Morgen stand Elena immer auf, wenn die aufgehende Sonne das erste Morgenrot auf den weitläufigen östlichen Himmel gezaubert hatte. Im Sommer war dies die einzige Zeit des Tages, die ihr annähernd behagte. Dann war es am kühlsten, und auch die Fliegen waren noch nicht munter. Elena fand, dass das Morgenlicht der Landschaft etwas Weiches verlieh, sodass sie nicht so bedrückend wirkte wie zu den anderen Tageszeiten.
Leider blieb Elena nicht viel Zeit, den Himmel oder die Landschaft zu bewundern, weil sie etliche Aufgaben zu erledigen hatte, ehe sie sich auf den Weg nach Winton machen konnte. Sie musste die Hühner füttern, die Wäsche waschen und Aldo das Frühstück bereiten. Von montags bis donnerstags arbeitete sie für Dr. Robinson, an diesen Tagen machte sie auch noch Sandwiches für sich und Aldo, ehe sie fegte und das Haus aufräumte.
Die Fahrt zum zehn Meilen entfernt gelegenen Winton im Pferdewagen war lang, und
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