Der Glanz des Südsterns: Roman (German Edition)
erledigen, wie sie das hätte tun sollen, setzte sie sich auf die Veranda, trank Tee und betrachtete die Landschaft. Auch wenn keine Zäune oder Mauern sie umgaben, fühlte sich die Farm wie ein Gefängnis an, ein Ort, an dem sie gefangen war ohne Aussicht auf Flucht oder auch nur auf Entlassung wegen guter Führung. Sie versuchte, sich ein anderes Leben vorzustellen, eine glückliche Zukunft, aber es gelang ihr nicht.
Als Aldo aufstand, strafte er Elena mit verächtlichem Schweigen. Es machte Elena traurig, dass das Schweigen zwischen ihnen nie ein vertrautes Schweigen war, es gab einfach keine aufrichtige Zuneigung zwischen ihnen. Aldo ließ das Frühstück, das sie für ihn vorbereitet hatte, stehen und ging stattdessen zu den Stallungen, um die Tröge zu reinigen – Marcus’ eigentliche Aufgabe. Sie sollte sehen, wie er sich zum Märtyrer machte. Aber Elena bedauerte ihren Mann nicht. Sie sah ihm nach und spürte voller Traurigkeit, dass sie nichts als Verbitterung empfand.
Als Marcus von seinem Kricketspiel zurückkam, war Luisa gerade dabei, das Mittagessen vorzubereiten. Sie wusste, ihr Enkel würde ausgehungert sein nach der sportlichen Betätigung. Marcus schoss zudem in letzter Zeit in die Höhe und wurde immer muskulöser. Er war nicht so wählerisch beim Essen wie seine Geschwister, weshalb es ein Vergnügen war, für ihn zu kochen. Insgeheim zog Luisa ihren ältesten Enkel vor, denn er kam weniger auf Aldo als die beiden anderen, die ihrem Vater sehr ähnlich waren. In Marcus sah sie mehr von Elena.
Marcus ließ sich erschöpft auf einen Stuhl am Küchentisch fallen. Er war müde vom Spiel, aber Luisa fiel auf, wie erhitzt er war. Er schwitzte extrem heftig, obwohl es kein sonderlich warmer Tag war.
»Was ist denn los, Marcus?«, fragte sie besorgt.
»Nichts, Nonna«, antwortete Marcus.
Am Vormittag hatte Luisa Luigi im Geschäft helfen müssen, sodass sie nicht beim Spiel hatte zuschauen können. »Hat eure Mannschaft gewonnen?«, fragte sie erwartungsvoll und stellte dem Jungen ein Glas Wasser hin.
»Ja, Nonna«, antwortete Marcus.
Luisa vermisste die Leidenschaft, mit der ihr Enkel normalerweise von Sportereignissen berichtete. »Du scheinst dich gar nicht über den Sieg zu freuen, Marcus. Bist du sicher, es geht dir gut?« Sie befühlte seine Stirn. »Du bist sehr heiß. Bist du nach Hause gelaufen?«
»Nein, Nonna.«
Kaum hatte Marcus seiner Großmutter geantwortet, da verdrehten sich seine Augen, und er stürzte auf den Küchenfußboden. Er schlug wild um sich und gab würgende Geräusche von sich, als sei er dabei, seine Zunge zu verschlucken. Ein Stuhl stürzte um. Luisa sah fassungslos, wie sich Marcus’ Muskeln verkrampften. Als ihm weißer Schaum aus dem Mund trat, wäre sie vor Angst beinahe in Ohnmacht gefallen.
»Marcus, Kind! Was ist mit dir?«, rief sie voller Panik, doch ihr Enkel reagierte nicht auf ihre Stimme.
»Luigi!«, schrie Luisa, »Luigi! Komm und hilf mir!«
Luigi, der seine Frau bis in den Fleischerladen rufen hörte, stutzte. Irgendetwas stimmte nicht. Er ließ alles stehen und liegen, rannte aus dem Geschäft und nach nebenan in ihr Haus.
Elena fühlte sich wie in Trance an diesem Samstag. Fast den ganzen Vormittag hatte sie auf der Veranda gesessen und Tee getrunken und an Marcus gedacht. Sie vermisste ihren ältesten Sohn. Sie hatte sich so elend gefühlt, weil sie ihn nicht beim Kricketspielen sehen konnte, aber sie wusste, wenn sie Pferd und Wagen genommen hätte und in die Stadt gefahren wäre, wäre Aldo noch wütender geworden, und er würde seine Wut an ihrem Sohn auslassen, wenn der das nächste Mal nach Hause kam. Und das durfte sie nicht riskieren.
Irritiert stand sie auf, als sich knisternd das Funkgerät meldete. Wer konnte das sein? Marcus vielleicht, der glücklich mit dem Sieg seiner Mannschaft prahlen wollte und mit den vielen Läufen, die er gemacht hatte? Überrascht nahm Elena zur Kenntnis, dass sich ihr Vater aus Mr. Kestles Laden meldete. Da Luigi die Anrufe über Funk immer ihrer Mutter überließ, weil er nicht sehr gut mit dem Gerät umgehen konnte, war ihr erster Gedanke, dass etwas mit Luisa passiert war.
»Papà, ist alles in Ordnung?«, fragte Elena. »Ist etwas passiert mit Mamma?«
»Deine Mamma ist mit Marcus im Krankenhaus«, sagte Luigi.
»Marcus! Wieso sind sie im Krankenhaus? Was ist passiert, Papà? Sag es mir.«
Ihr Vater klang erstaunlich ruhig, also geriet Elena nicht sofort in Panik, aber Sorgen machte sie sich
Weitere Kostenlose Bücher