Der Glanz des Südsterns: Roman (German Edition)
würde.
»Wir könnten uns noch mit Kollegen beraten. So kommen wir vielleicht weiter«, sagte Neil.
»Dr. Thompson«, rief eine Schwester. »Der Fliegende Arzt bringt einen Patienten rein.«
»Entschuldigen Sie mich bitte kurz«, sagte Neil und eilte davon.
Neil Thompson kümmerte sich gleich um den Patienten, einen Farmarbeiter, der eine Lebensmittelvergiftung hatte und völlig dehydriert war. Sein Kollege Lyle MacAllister hatte ihn gebracht. Als Neil dem Farmarbeiter eine Kochsalzinfusion anlegte, klärte Lyle ihn im Einzelnen über den Zustand des Mannes auf. Offenbar war der Farmarbeiter beim Viehtrieb draußen gewesen und hatte von zu Hause mitgebrachte Lebensmittel gegessen, die verdorben waren. Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis er in der Lage gewesen war, Hilfe zu holen. Der Mann stöhnte vor Übelkeit und würgte.
»Es wird ihm bald besser gehen«, sagte Neil zu Lyle. »Aber da ich Sie gerade spreche … Ich habe hier einen kleinen Patienten, der einen Krampfanfall erlitten hat. Wir haben etliche Untersuchungen gemacht, können aber die Ursache nicht finden. Haben Sie womöglich Erfahrung mit Krampfanfällen bei Jugendlichen?«
»Die habe ich tatsächlich«, antwortete Lyle. Es wurde ihm eng in der Brust, wie immer, wenn er an seinen Sohn dachte, doch hier war Professionalität gefragt. Er durfte sich nicht gehen lassen. »Kann ich helfen?«
»Vielleicht. Es handelt sich um einen Jungen hier aus der Gegend. Er ist vor ein paar Stunden hergebracht worden. Marcus ist erst zwölf. Solche Krämpfe haben wir bei einem Kind in dem Alter noch nie erlebt.«
»Darf ich ihn sehen?«
»Ich würde mich freuen, wenn Sie ihn sich einmal ansähen«, sagte Neil.
Neil brachte Lyle auf die Station, auf der Marcus lag. Luisa war gerade hinausgegangen, um Marcus etwas zu trinken zu holen.
»Marcus«, sagte Neil. »Das ist Dr. MacAllister. Er ist einer der Fliegenden Ärzte.«
»Hallo, Marcus«, sagte Lyle, lächelte warmherzig und streckte dem Jungen die Hand hin.
»Hallo, Doktor«, antwortete Marcus.
Es verblüffte ihn, dass ein Erwachsener ihm die Hand schüttelte. Er fühlte sich ernst genommen. Dieser neue Arzt war ihm gleich sympathisch.
»Du hast da etwas Verstörendes erlebt, aber ich will nicht, dass du dir Sorgen machst«, erklärte Lyle. »Wir werden die Ursache finden, und wir werden dafür sorgen, dass es nicht wieder passiert.«
Der Junge ist so alt, wie Jamie jetzt wäre, dachte er traurig. Er hat angenehme Gesichtszüge und intelligente Augen, er sieht wie ein netter Junge aus.
Marcus war Erwachsenen, vor allem Männern gegenüber normalerweise sehr schüchtern, aber Lyle fand er warmherzig, und ihm gefiel seine Stimme. Sie war außergewöhnlich freundlich.
Während sich Lyle mit Marcus unterhielt und ihn untersuchte, kam Luisa mit dem Wasser zurück. Als sie einen weiteren, ihr unbekannten Arzt am Bett ihres Enkels sah, hielt sie sich im Hintergrund. Er verabschiedete sich gerade von Marcus und gab ihm die Hand, dann gingen er und Neil aus dem Krankenzimmer.
»Wer war der andere Doktor, Marcus?«, fragte Luisa und gab ihrem Enkel etwas zu trinken.
»Er heißt Dr. MacAllister und ist bei den Fliegenden Ärzten«, antwortete Marcus. »Ich mochte ihn, Nonna.«
Aber Luisa hatte sich bereits ihre eigene Meinung gebildet. Sie fand, der Doktor war ein sehr gut aussehender Mann und hatte, nach allem, was sie sehen konnte, eine angenehme Art im Umgang mit Patienten. Sie hoffte, dass er ihrem Enkel helfen konnte.
»Wo ist Aldo? Fährt er nicht mit uns ins Krankenhaus?«, fragte Luigi seine Tochter, als sie in den Lieferwagen kletterte.
Elena hatte sich schon eine Ausrede zurechtgelegt. »Er hält es für hilfreicher, auf der Farm zu bleiben und auf Maria und Dominic aufzupassen.«
Luigi sagte nichts, doch Elena kannte ihren Vater gut. Er würde sich denken, was der wirkliche Grund war.
Als sie beim Krankenhaus ankamen, suchten sie gleich die Station auf, auf der man Marcus untergebracht hatte. Elena fand zwei Ärzte am Bett ihres Sohnes vor. Winton war eine Kleinstadt, und so kannte sie Dr. Thompson und Dr. Rogers sehr gut – gut genug, um gleich zu erkennen, dass sie ratlos waren. Elena eilte zu ihrem Sohn.
»Marcus, wie geht es dir?«, fragte sie und nahm sein Gesicht in beide Hände, während sie ihn gründlich musterte. Ihr fiel ein Bluterguss an seiner Lippe auf. Er hat sich wohl auf die Lippe gebissen, als er den Krampfanfall hatte, dachte sie. Abgesehen davon wirkte er
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