Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
Vom Netzwerk:
denn dort lernen, arbeiten?«
    Ich empfand seinen Ton als neugierig und mitfühlend. Mich streifte, aber nur ganz vage, der Gedanke, ihn zu fragen, wo er vor zehn Jahren gewohnt hatte, als er nichts anderes war als ein unbeholfener Student aus der Provinz wie ich. Doch ich traute mich nicht, und während ich seinen Anzug, das selbstgewisse Lächeln und die gepflegten Finger betrachtete, kam es mir so vor, als hätte er nie anders ausgesehen und wäre immer schon dort gewesen, wo ich ihn besucht hatte.
    Â»Es geht. Wir sind nicht gar so viele in einem Zimmer …«, gab ich schnell zurück.
    Â»Wie viele?«, fragte er beiläufig und sah hinaus auf den Boulevard.
    Â»Vier«, sagte ich, nicht sehr überzeugend, und bereute es auch sofort, wenn ich schon log, hätte ich ja gleich drei oder gar zwei sagen können.
    Â»Vier – immerhin genug«, antwortete er mit derselben gleichgültigen Nachdenklichkeit. »Dann ist es ja gar nicht einfach – wenn eine lesen will, die andere reden, wieder eine andere schlafen …«
    Â»Eigentlich ist es ganz schön schwer«, schwenkte ich plötzlich um und ärgerte mich, dass ich es nicht gleich zu Anfang gesagt hatte. »Zum Lesen muss man in den Lesesaal gehen, aber auch dort ist es eng, zu Prüfungszeiten sind nicht einmal genug Stühle da.«
    Ich merkte, dass ich mich in Einzelheiten verzettelte, die ihm egal sein mussten, deshalb blieben mir die Worte im Hals stecken, und ich schwieg, wobei ich unsinnigerweise meinen Rock über den Knien glatt strich. Ich hatte eben die ganze vergangene Woche an ihn gedacht, und irgendwie erschien er mir in Gedanken dermaßen vertraut, dass ich, widersinnig und undeutlich oder wie auch immer, überzeugt war, dass er das, was ich sagte, schon nach wenigen Worten verstehen würde.
    Â»Ich ziehe die Bibliothek vor«, fügte ich hinzu, um ihm zu zeigen, dass ich sein Interesse verdiente. Vertrauensvoll sah ich zu ihm auf, aber er hatte meine letzten Sätze wahrscheinlich gar nicht gehört.
    Â»Fahr rechts ran«, sagte er nach vorne geneigt zum Fahrer.
    Petru Arcan reichte mir flüchtig die Hand, und ich spürte, wie sich die unendliche Leere der Enttäuschung in mir ausdehnte. Diese Enttäuschung lähmte meine Bewegungen und erstickte meine Stimme in der Kehle; allerdings schwand die Leere gleich darauf, als ich hörte, wie er sagte: »Es bleibt also dabei … Wenn Sie etwas brauchen, rufen Sie mich an, nachmittags oder abends … Ich warte«, fügte er hinzu, und ich schlug die Tür lächelnd zu.
    Ein Wunder, auf einmal. In mir war Ruhe und um mich eine neue Stadt, die ich in den schon bekannten Straßen entdeckte. Dieselben vor dreißig Jahren erbauten grauen Blocks, dieselben schweren schmiedeeisernen Türen, hinter denen das Halbdunkel dämmerte. Ein eigens davor geklemmter Stuhl hielt die Tür der Eckkneipe offen, so dass ein dreieckiger Lichtkegel sich auf dem Fußboden abzeichnete. Drinnen an den Tischen warteten ein paar frühe Trinker. Mit trägen Bewegungen stellte der Kellner hinter seiner wasserüberströmten Theke etwas um. Die Fenster der Häuser, an denen ich vorbeikam, glänzten frisch geputzt, meine innerlich gefestigte Ruhe ergoss sich mit dem vollen Sommerlicht über sie. Die Stadt war eine andere, zwar geheimnisvoll wie am ersten Tag, doch aus ihr sah mir das neue Leben entgegen, das ich schon spüren konnte. Unzählige Gesichter glitten an mir vorüber, die ungezählten Gesichter der Stadt. Wieder meinte ich, etwas sei im Begriff zu beginnen, triumphierend hoch trug ich den immer röteren Kopf durch die Mittagshitze. Das Hupen der Autos und dazwischen das verloren klagende Gurren der Turteltauben, das alles ließ ich hinter mir. In den strahlend gelben Chrysanthemen am Rande des Gehsteigs hatte sich das ganze Licht gesammelt.
    *
    Mit steifen Schultern stand ich vom Tisch auf und ließ die Bücher offen liegen. Ich hatte kein einziges davon zu Ende gebracht, in jedem hatte ich ein bisschen gelesen, aber zu meinem wachsenden Schrecken festgestellt, wie wenig ich wusste, und unnötig genaue Notizen gemacht. Die Gänge, durch die ich ging, rochen nach kaltem Putz, Staub und Altpapier. Im Vorraum hatten sich zwei alte Männer getroffen, jeder trug eine offene Mappe unter dem einen Arm, über dem anderen hing der Griff eines schwarzen Regenschirms –

Weitere Kostenlose Bücher