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Der glückliche Tod

Der glückliche Tod

Titel: Der glückliche Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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Türgriffe anbringen. Den Vogel in dieser Hinsicht schoß Morales ab. Man nannte ihn den «König von Spanien». Tatsächlich hatte er Bingues, der nicht genügend Einbildungskraft besaß, auf allen Gebieten geschlagen. An dem Tag, an dem, während des Krieges, Bingues mehrere hunderttausend Francs Staatsanleihe zeichnete, hatte Morales erklärt: «Ich tue mehr, ich gebe meinen Sohn.» Und er hatte seinen Sohn, der noch zu jung war, um eingezogen zu werden, tatsächlich Soldat werden lassen. 1925 war Bingues in einem fabelhaften Bugatti-Rennwagen aus Algier eingetroffen. Vierzehn Tage darauf hatte Morales sich einen Hangar bauen lassen und eine Caudron gekauft. Dieses Flugzeug träumte noch immer in seinem Hangar. Nur sonntags wurde es den Besuchern vorgeführt. Wenn Bingues von Morales sprach, sagte er: «Dieser hergelaufene Kerl», und Morales von Bingues: «Dieser alte Kalkofen.»
     
    Bernard nahm Mersault zu Morales mit. Auf seinem großen Besitz voller Wespen und Traubenduft empfing dieser sie mit allen Zeichen der Hochachtung, aber in Schlappen und Hemdsärmeln, da er weder eine Jacke noch an den Füßen Schuhe vertrug. Das Flugzeug, die Autos, die eingerahmte und im Salon ausgestellte Medaille des Sohnes wurden ihnen vorgeführt, und Morales, der Mersault über die Notwendigkeit aufklärte, die Fremden aus dem französischen Algerien zu entfernen (er selbst war naturalisiert, «aber dieser Bingues zum Beispiel...»), geleitete seine Gäste zu seiner jüngsten Neuerwerbung. Sie betraten einen ungeheuer ausgedehnten Rebgarten, in dessen Mitte ein runder Platz ausgespart war. Auf diesem Platz war ein Louis-Quinze-Salon aus kostbarsten Hölzern und Stoffen aufgestellt. Morales konnte auf diese Weise seine Besucher inmitten seiner Weinberge empfangen. Als Mersault sich höflich erkundigte, was bei Regenwetter geschähe, antwortete Morales, ohne mit der Wimper zu zucken, über seine Zigarre hinweg: «Dann kaufe ich einen neuen.» Die weiteren Besuche mit Bernard dienten dem Zweck, den Neureichen und den Dichter auseinanderhalten zu lernen. Bernard war der Meinung, Morales sei ein Dichter. Mersault fand, er hätte einen vortrefflichen römischen Kaiser der Verfallzeit abgegeben.
     
    Eine Weile danach verbrachte Lucienne ein paar Tage am Chenoua und reiste wieder ab. Eines Sonntagvormittags erhielt Mersault den Besuch von Claire, Rose und Catherine, wie sie es versprochen hatten. Patrice aber war nun schon weit von der Seelenverfassung entfernt, die in den ersten Tagen seiner Zurückgezogenheit ihn nach Algier getrieben hatte. Dennoch freute er sich, die Mädchen wiederzusehen. Er holte sie zusammen mit Bernard an der Ankunftsstelle des gelben Autobusses ab, der diese Strecke befuhr. Der Tag war herrlich, das Dorf voll von schönen roten Wagen ambulanter Metzger, die Blumen blühten dicht bei dicht, und die Leute trugen alle helle Kleidung. Auf Catherines Wunsch setzten sie sich ein Weilchen ins Café. Sie bewunderte all dieses Leuchten und Leben, und hinter der Wand, an die sie sich lehnte, ahnte sie die Gegenwart des Meeres. Als sie gerade aufbrechen wollten, ertönte aus einer nahen Straße eine erstaunliche Musik. Es war offenbar der «Einzug der Toreros» aus «Carmen», aber mit einem derart dröhnenden Geschmetter gespielt, daß die Musikanten außer Reih und Glied gerieten. «Das ist der Turnverein», erklärte Bernard. Dennoch sah man unbekannte Gestalten, etwa zwanzig Mann, um die Ecke biegen, die unaufhörlich in die verschiedensten Blechinstrumente bliesen. Sie marschierten in Richtung auf das Café, und hinter ihnen zeigte sich mit nach hinten geschobenem Strohhut, unter dem ein Taschentuch lag, Morales, der sich mit einem Reklamefächer Kühlung zufächelte. Er hatte diese Musikanten in der Stadt gemietet, «weil», so erklärte er später, «bei der derzeitigen Krise das Leben sonst so traurig ist». Er setzte sich und ließ die Musikanten, die ihren Marsch zu Ende spielten, sich rings um ihn aufstellen. Darauf erhob sich Morales und verkündete mit einer alles rundum erfassenden Geste voll Würde: «Auf meinen Wunsch wird das Orchester noch einmal den Toreromarsch spielen.»
     
    Beim Aufbruch konnten die «Schäfchen» sich kaum halten vor Lachen. Jedoch im Haus, im Schatten und in der Kühle der Räume, die einem die strahlende Weiße der besonnten Gartenmauern noch deutlicher machte, senkte sich wieder Schweigen und tiefe Harmonie über sie, was sich bei Catherine in dem Wunsch äußerte, ein

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