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Der Glücksritter

Der Glücksritter

Titel: Der Glücksritter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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Aspira aus wälzte sich ein Strom von Flüchtlingen nach Süden. Süden, das bedeutete Wärme, Sonne, Helligkeit und Erlösung vor den Schrecken der Dunklen Mächte. Die meisten Flüchtlinge aus Aspira waren sicher, den Marsch durch das Land der Sarronen überstehen und an Salmacae vorbei das Land der Rukorer erreichen zu können. Aber der gewaltige Flüchtlingstreck stieß an der nördlichen Grenze von Rukor, die von Nordwest nach Südost verlief, auf einen Grenzwall, den die Truppen der Rukorer verteidigten. Sie waren ohne Erbarmen und verjagten die Flüchtlinge, sie trieben sie nach Südosten und Süden ab – auf die Wüste zu.
    Hungernd und durstend, zu Tode erschöpft, mit aufgerissenen Füßen und schmerzenden Gliedern, in der Nacht frierend und am Tage dem Hitzschlag nahe, erreichten die ersten Wanderer dieses Zuges südöstlich der Stadt Leone den Rand der Wüste.
    *
    Congolf, der Schmied, stützte sich schwer auf seinen Stock und betrachtete das Land, das vor ihm lag und sich nach rechts und links bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schien. Hinter ihm stöhnte ein Mann, ein Säugling wimmerte leise. Jemand keuchte und hustete, dann fragte er mit schwacher Stimme: »Siehst du etwas, Congolf? Wasser? Schatten?«
    Vor zwei Tagen hatten sie in einem Wäldchen aus dürren Bäumen gerastet. Da waren sie noch rund tausend Frauen, Kinder und Männer gewesen. In der Nacht hatte es wärmende Feuer gegeben, man hatte Beeren gegessen, Blätter gekaut, einen heißen Tee kochen können. Als der Elendszug den Wald verlassen hatte, war er bis auf die Baumkronen gänzlich kahl und leer gewesen. Damals hatten sie zum letzten Mal etwas zwischen den Zähnen und auf der Zunge gehabt – Essen konnte man es wohl nicht nennen.
    Congolfs Augen schmerzten von der Grelle des Sonnenlichts, als er antwortete: »Nichts. Macht euch keine Hoffnungen!«
    Als er zum letzten Mal seinen schweren Hammer hingeworfen und das Feuer seiner Werkstatt in Aspira gelöscht hatte, war Congolf ein großer, wuchtiger Mann mit einem tonnenförmigen Bauch und den Schultern eines Stieres gewesen. Jetzt trug er Lumpen. Die hornigen Schwielen an seinen Handflächen lösten sich, die Haut darunter blutete. Er war mager geworden.
    »Keine Stadt? Kein Dorf?«
    »Nichts. Nur Staubschleier und Hitze!« sagte Congolf. Auf dem langen Marsch war jedes Gramm Fett in seinem Körper aufgezehrt worden. Seine Reserven waren größer gewesen als die vieler anderer, deren Gräber nun den Weg des Trecks säumten. Aber auch er würde nicht mehr lange durchhalten, und irgendwie war er zum Anführer dieser Menge elender, sterbender Menschen geworden.
    Doch in jedem von ihnen brannte noch schwach ein Funken Hoffnung.
    »Weiter!« sagte Congolf und drehte sich um. Er stand auf der Spitze eines runden Findlings, der zu zwei Dritteln aus einem winzigen Hügel herausragte. Raschelnd dürres Gras bedeckte den Hügel. Ringsherum waren Sand, Steine und die Spuren der Wandernden, die sich wie die Haut einer toten Schlange nach Norden erstreckten.
    Einer der Wächter auf den Steinwällen Rukors hatte Congolf zugerufen: »Geht nach Süden! In Salamos werden sie euch willkommen heißen!«
    Waren sie schon in Salamos?
    Ächzend stieg Congolf von dem glühendheißen Felsen und wanderte weiter. Alle zwei Schritte setzte er seinen Stab ein und zog sich daran nach vorn. Die Haut unter den Fetzen seines Umhangs rötete sich und brannte, wo sich die Blasen öffneten. Süden – das war die einzige Richtung, in der es vermutlich Rettung gab. Aber wenn nicht binnen kurzer Zeit Wasser gefunden wurde, wenn sie nicht eine Oase oder ein Dorf erreichten, starben noch mehr Menschen, und in einigen Tagen waren sie ohnehin alle verdurstet.
    Stunde um Stunde schleppte sich der Zug dahin. Die kräftigsten Männer trugen die erschöpften Kinder. Nur noch einige schlaffe Säcke waren vorhanden, halb gefüllt mit warmem, faulig riechendem Wasser. Hier gab es einen Kanten Brot, dort eine Scheibe flechsenreichen Braten, an anderer Stelle kaute eine zahnlose Alte in schwarzem Umhang auf steinharten Beeren, die einst auf einer Schmuckkette aufgereiht gewesen waren.
    Die Sonne wanderte über den Himmel. Als die weißglühende, blendende Scheibe im tiefen Nachmittag stand und sich rötlich zu färben begann, stieß Congolf mit einigen jüngeren Männern, die sich neben ihm durch den Sand schleppten, auf eine breite, festgetrampelte Spur.
    Ohne dass er es wusste, hatte er die Karawanenstraße am Rand der

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