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Der goldene Kelch

Der goldene Kelch

Titel: Der goldene Kelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eloise Jarvis McGraw
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ich hätte ihn erschreckt, aber er hat ganz ruhig gesagt, dass das alles nichts zu bedeuten hätte.“
    Der Alte packte Heqets Arm. „Was für eine Unterhaltung? Was hast du gehört?“
    Heqet fasste schnell seine Geschichte zusammen – wie er hinter Abas neuen Krügen gelauscht hatte und was Ranofer dazu gesagt hatte. Als er den „Platz mit dem krummen Baum“ erwähnte, kniff der Alte sein Auge zusammen, unterbrach Heqet jedoch nicht. Mit jedem Wort, das er hörte, wurde er blasser und sein Blick finsterer.
    „Du siehst“, endete Heqet, „das hat alles nichts mit Ranofers Abwesenheit zu tun. Gebu ist heute nicht mal in Theben. Die beiden Schurken treffen sich, so viel ist sicher, aber am Platz mit dem krummen Baum und der ist wahrscheinlich in Abydos.“
    „Nein, mein Junge, er ist nicht in Abydos“, sagte der Alte tonlos. „Ich kenne diesen Platz, der Baum ist eine sehr alte Landmarke, aber nicht in Abydos.“ Er streckte seinen Arm aus und zeigte mit seinem dürren Finger auf die Wüstenberge. „Dort, in der Nähe des Grats am Pfad zum Tal der Könige.“ Heqet starrte ihn in stummem Entsetzen an. Der Alte fuhr fort: „Ranofer wusste das auch, oder er hat es erraten. Er hat mich nämlich gestern gefragt, wie man die Grabräuber gestellt hat, die man damals an der Palastmauer hängte. Tja, und ich habe ihm alles erzählt.“
    „Was hast du ihm erzählt? Wie hat man denn die Grabräuber gestellt?“
    „Man ist ihnen gefolgt. Durchs Tal und ins Grab. Das habe ich ihm erzählt. Ich wette, dort ist er jetzt, dort schleicht er diesen Schurken hinterher – ohne einen Zauberspruch und ohne ein Amulett, um die Kheftiu zu bannen.“
    „Wir müssen zu ihm!“, rief Heqet. „Wir holen ihn da raus, Gevatter, wir retten ihn!“
    Der Alte humpelte schon die Stufen des Fischerkais hinunter, sein Auge fest auf den Grat der fernen Wüstenberge gerichtet. „Wir holen ihn raus, wenn wir können. Du bist zu jung und ich bin zu alt für so ein gewagtes Unternehmen, aber er hat ja niemanden außer uns.“
    „Und die Grabwachen?“, keuchte Heqet, als sie zur Hauptstraße eilten.
    „Die feiern da drüben wie alle anderen auch.“ Der Alte deutete betrübt auf den Fluss, über den die letzte voll beladene Fähre zum Ostufer schaukelte. Die Straßen waren wie ausgestorben, alle Werkstätten, Läden und Häuser verlassen. Nun sah es hier wirklich aus wie in einer Totenstadt.
    Am Stadtrand mussten sie ihren Schritt ein wenig verlangsamen, denn beide waren vor Aufregung und Eile ganz außer Atem. Der Alte hob die Hand, sie blieben stehen und legten eine Verschnaufpause ein; ihre Augen folgten dem Weg durch den Wüstenstreifen. Als sie sich wieder erholt hatten, blickte der Alte Heqet an und nickte. Schweigend machten sie sich auf den Weg zum Felsengebirge.
    Nach einer halben Stunde bogen sie auf dem steilen, engen Pfad um eine Kurve; dahinter tauchte der seltsame, verkümmerte Baum auf, der aus einer Spalte zwischen zwei Felsbrocken hervorwuchs. Dort verbreiterte sich der Pfad, und die beiden konnten nebeneinander gehen. Sie bezwangen den letzten Anstieg und blieben stehen. Schweigend sahen sie über das Rote Land, das sich vor ihnen erstreckte. Heqet schauderte, er stellte sich so nahe neben den Alten, dass sich ihre Schultern berührten.
    „Wie sollen wir ihn denn hier finden?“, flüsterte er verzweifelt. „Was meinst du Gevatter, werden wir ihn denn finden?“
    „Ich weiß nicht, mein Junge. Wir müssen es versuchen.“
    „Ich… ich dachte, wir würden ihn gleich sehen. Aber ich sehe hier gar nichts, nicht die Spur von Leben!“
    „Einer lebt“, brummte der Alte und deutete über die mit Felsen und Hügeln gesprenkelte Sandwüste zu einem Steinhaufen in der Ferne, von dem gerade ein großer, schwarzer Geier schwerfällig abhob, flatterte und trudelte. Schließlich schwang er sich in die Höhe und glitt in die Lüfte. Hoch oben kreiste er träge am blauen Himmel. Heqet und der Alte wandten ihren Blick ab und machten sich an den Abstieg ins Tal.

14
     
     
     
    Nach dem Sturz in den Spalt rutschte Ranofer die rohe, schiefe Treppe mit den hohen Stufen hinunter, kam wieder auf die Beine, verfehlte dann aber eine Stufe und purzelte schließlich vollends hinab, wobei er sich an dem rauen Stein die Knie aufschlug und die rudernden Arme aufschürfte. Unten angekommen war er voller Schrammen, er war ganz benommen und stand in der pechschwarzen Nacht des Grabes nicht weniger Todesängste aus als vor dem großen

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