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Der goldene Kelch

Der goldene Kelch

Titel: Der goldene Kelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eloise Jarvis McGraw
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schwarzen, geflügelten Wesen, vor dem er geflohen war. Er rappelte sich auf und tappte mit ausgestreckten Händen blind drauflos, bis er am Anfang des Geheimganges stand, den er dort vermutet hatte. Er führte mit einem leichten Gefälle hinunter ins unbekannte Dunkel. Er zögerte; in dem sinnlosen Versuch, etwas zu sehen, riss er seine Augen weit auf. Da erblickte er weiter unten im Gang einen matten Schein. Gebu und Wenamun hatten eine Fackel angezündet; was er sah, war ihr schwacher Widerschein, der an einer Biegung des Ganges auf die Wand fiel.
    Ranofer heftete seinen Blick auf den Schimmer und befeuchtete seine Lippen. Er konnte doch hier nicht zitternd und bebend stehen bleiben, er musste dem Licht folgen oder er musste wieder an die Erdoberfläche zurückklettern, und dann würde ihn dieses riesenhafte geflügelten Wesen in das grauenvolle Land der Dämonen mitnehmen! Er überlegte noch, was wohl das kleinere Übel wäre, als der matte Lichtschein schwächer wurde und schließlich ganz verlosch.
    Er biss die Zähne zusammen und schlich durch den Gang. Erst fiel er nur leicht ab und wurde dann aber immer abschüssiger, je tiefer er in die Erde hineinführte. Es wurde schwärzer und schwärzer um Ranofer, bis er schließlich davon überzeugt war, dass er auf einer schmalen Brücke ging, die über dem Nichts gespannt war. Von Panik ergriffen, tastete er immer wieder nach der Wand, während sein großer Zeh die nächste Stufe prüfte. Der Boden war übersät mit scharfkantigen Steinchen, die in seine nackten Sohlen schnitten. Es war heiß, stickig und so trocken, dass sich nicht nur seine Haut zusammenzog, sondern auch sein Fleisch ausdörrte – es dörrte bestimmt aus, dessen war er sich sicher. War das der Atem dieser schwarzen Kreatur, die immer noch hinter ihm her war, oder war es der tödliche, vernichtende Schlag ihrer Flügel?
    Er beschleunigte seinen Schritt und hastete blind weiter, um den Lichtschein wieder zu erhaschen. Da schlug er mit dem Kopf gegen etwas Hartes, Kantiges; vor Schreck sank er in die Knie. Auf dem Boden kauernd murmelte er Gebete und Zauberformeln gegen die Geister der Rache. Um wegzulaufen, war er zu schwach, um zu bleiben, hatte er zu viel Angst. Er rappelte sich wieder auf, verschränkte die Arme über dem Kopf und stieß wieder gegen den harten Stein. Da merkte er, dass es die Decke des Gangs war, die inzwischen so niedrig war, dass er von nun an kriechen musste. Also kroch er. Seine Zähne schlugen aufeinander und er zitterte so heftig am ganzen Leib, dass er das Gefühl hatte, sein Körper gehörte nicht mehr ihm. Nie zuvor hatte er sich so klein gefühlt, so allein und so hilflos wie in diesem schrecklichen, schwarzen Loch, das verhext war von Wesen, die er weder sehen, hören noch ertasten konnte, von denen er aber wusste, dass es sie gab. Viel schlimmer aber war, dass er sich mit jedem Schritt einem Ort näherte, der noch viel grauenvoller war: der Gruft des Todes, der kostbaren Wohnung des Verschiedenen, der empört war über die Störung seines Friedens und über dessen Dreitausend Jahre die unheimlichen Dämonen wachten.
    Hin und wieder schimmerte der Widerschein der Fackel, und Ranofer stürzte unbedacht auf das Licht zu, auch wenn der ferne, schwache Glanz die Dunkelheit, die ihn einhüllte, nur noch dichter machte. Jeder Mensch, egal ob Mörder oder Dieb – auch Gebu – würde ihm als Freund und Retter erscheinen.
    Irgendwann, es war ihm vorgekommen wie eine halbe Ewigkeit, merkte er, dass die Dunkelheit nicht mehr ganz so dicht und schwarz war und sich langsam zu einem schummrigen Grau aufhellte. Ranofer konnte sogar die Wände auf beiden Seiten des Ganges erkennen. Offenbar wurde die Fackel nicht mehr getragen, Ranofer näherte sich dem Licht.
    Plötzlich hörte er, wie etwas abgeschlagen wurde und ein Brocken Mörtel auf den Boden fiel. Ranofer blieb stehen, sofort löste sich sein Verlangen nach Gebus Gesellschaft in nichts auf. Selbst die Angst vor den körperlosen Dämonen wich dem Bild des massigen Teufels, das ihm plötzlich wieder klar vor Augen stand. Gebu war immer noch Gebu, auch wenn er ein Mensch war. Und dieser Mensch brach gerade durch die verputzte Wand eines Grabes. Ranofer wartete, bis die Geräusche verklungen waren und der Fackelschein wanderte, bevor er vorsichtig weiterkroch.
    Er bog um eine Kurve und war plötzlich geblendet von goldenem Licht. Blinzelnd hielt er die Hand vor die Augen, bis er sich an den glänzenden Schein gewöhnt hatte. Es

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