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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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wenn auch nur zögerlich und nicht ohne Bedauern – sein Mündel mit zu Claridge’s. Nach einer hervorragenden Wildbretpastete und während sich der Kellner an den Crêpes Suzette zu schaffen machte, legte Jonah Noblewhite einen schlanken weißen Umschlag auf den Tisch. Dieser enthielt, wie er sagte, einen Scheck über einen überaus stattlichen Betrag sowie einen wahrheitsgemäßen und detailgenauen Bericht über Mercers Herkunft und eine Aufstellung der sehr guten und vernünftigen Gründe, die seine Erzeuger dazu gebracht hatten, ihn nicht anzuerkennen.
    Mr Noblewhite war ein scheuer Mensch mit einem sackartigen Gesicht und einer hervorstehenden Nase. Seine berufliche Würde ging ihm über alles, und um ja nie den Eindruck zu erwecken, nachlässig zu sein oder sich geirrt zu haben, widmete er seiner Kleidung ebenso große Sorgfalt wie der juristischen Recherche. Und doch hatte er sich, als Mercer Cradle noch klein gewesen war, mehrmals bereitgefunden, den Jungen im Aktenraum auf seinem Rücken reiten zu lassen.
    Jahre später, an einem elegant gedeckten Tisch im Restaurant eines Londoner Fünfsternehotels, schaute Mercer Jonah Noblewhite an und bedankte sich bei ihm. Er nahm den Umschlag und holte, sorgsam darauf bedacht, nicht den Text der enthaltenen Nachricht zu beachten, den Scheck hervor. Er ließ sich die Summe durch den Kopf gehen, die ungeheuerlich war, dachte an die kalten leeren Seiten seines Arbeitsheftes, auf die er für eine seiner Schulen einmal einen Stammbaum hatte zeichnen sollen, und kam zu einem Entschluss. Er legte den Scheck wieder zurück, wartete, bis die Crêpes Suzette angezündet worden waren, und hielt den Umschlag kurzerhand in die Flammen. Als er brannte, zog er ihn wieder hervor und hielt ihn ruhig fest, bis sein Teller mit dampfenden Pfannkuchen und seine Nase mit dem berauschenden Geruch von Orangen und Brandy gefüllt war. Dann ließ er den Brief mitsamt seinen Geheimnissen auf die leere Kupferpfanne fallen und bat den Kellner, sie abzuräumen.
    Ein Grund für diese Teilnahmslosigkeit war die Tatsache, dass Mercer Cradle nicht allein gewesen war, als man ihn verleugnet hatte.
    Wenn der Sohn von Mathew Spork in seiner Kindheit mit Mercer durch den Nachtmarkt tobte und sich mit riesigen Wachhunden raufte und Steine über die Themse hüpfen ließ, lief den beiden pflichtbewusst ein sehniges, mäusehaariges Kleinkind namens Mary Angelica hinterher, dessen Geburtsurkunde unter derselben falschen Flagge wehte wie die seines Bruders.
    Die unerschrockene Rezeptionistin ist Mercers geliebte Schwester, die sich seit ihrer letzten Begegnung, als sie elf gewesen war, ziemlich verändert hat, die aber – daran zweifelt Joe nicht – noch immer der Augapfel ihres Bruders ist. Und jenes brüderliche Auge dürfte eifersüchtige Blicke auf diese neuesten Entwicklungen werfen. Joe hofft nur, dass die Schmach, die er unwissentlich über die Familie Cradle gebracht hat, nicht das uralte Bündnis außer Kraft setzen wird, das die Kanzlei von Jonah Noblewhite – und seinem Adoptivsohn – an das Hause Spork bis zur x-ten Generation bindet, für immer und ewig, amen.
    Mathew Spork befand sich auf Brautschau, und die Welt strahlte hell. Dies war der Anbruch der guten Zeiten, als Mathew trotz all seiner Prahlerei noch vorsichtige Bögen ums Gesetz schlug und immer noch das Gefühl hatte, ein Mädchen beeindrucken zu müssen, statt sie schlicht zu überwältigen. Und dieses Mädchen war Harriet Gaye, die beste Sängerin Londons, mit tiefbraunen Augen und starken Armen, mit denen sie einen Typen jederzeit im Genick packen und seinen Kopf zu ihren Lippen herüberziehen konnte.
    Mathew bestellte einen Tisch im Leonardo’s, weil es dort teuer war und man ihn kannte, weil man dort Bücklinge und einen großen Wirbel um ihn machte, ihm versicherte, dass er und die Schönheit an seinem Arm den besten Tisch im ganzen Haus bekämen und ihm dann auch noch tatsächlich den besten Tisch gab. Außerdem war das Leonardo’s das erste Haus am Platz, ein In-Spot. Wenn man Londons miserables Essen und seine zweifelhaften Weinkeller kannte, wusste man, dass der einzige Ort, an dem man es tatsächlich verstand, Heilbutt zuzubereiten, Trüffel zu raspeln oder Lamm zu servieren, das nicht bis zur völligen Zerstörung seinen Garpunkt überschritten hatte, das Leonardo’s war. In seiner kontinentalen Eleganz verströmte es einen Hauch von Monte Carlo und Rom, von Champagner und Casinos und eleganten Abendanzügen. Leo (den

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