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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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bekommt und die ganze Mission scheitert.
    »Mein Sohn hat meinen Ehemann und dessen Bruder ermordet, Commander Banister.«
    »Ja«, sagt Edie. »Ich weiß.« Denn was zum Teufel soll man auf so etwas auch sagen? Sie bleibt auf dem Fensterbrett sitzen, die Hände flach auf dem Steinsims, und lässt ihre Beine baumeln wie ein Kind.
    »Er hat sie in einer eisernen Kiste verbrannt.«
    »Ja.«
    »Er ist immer noch mein Sohn«, sagt die Witwe Khatun. »Was soll ich tun? Er ist immer noch mein Sohn. Ich sollte ihn nicht mehr lieben. Ich hasse ihn. Aber er ist immer noch mein Sohn. Also hasse ich ihn, doch wenn ich ihn am meisten hasse, sehe ich ihn vor mir, wie er ganz klein war, und dann fällt mir ein, wie er mich angeschaut hat, und ich frage mich, welchen schrecklichen Fehler ich wohl begangen habe, der ihn zu diesem Mann hat werden lassen. Zu diesem vollkommen verdorbenen Mann. Zum Opium-Khan von Addeh Sikkim, von dem alle Welt weiß, dass er ein Monster ist. Das macht mich zur Mutter eines Monsters. Grendels Modor . Elendige Hexe … Aber bin ich auch agl æ c-wif ? Das ist die Frage …« Und, da sie Edies verständnislosen Blick bemerkt: »Haben Sie Beowulf gelesen?«
    »Meine Schulrektorin hat immer gesagt, es sei ein Werk von heidnischer Finsternis und kaum berührt vom Erwachen Christi.«
    »Dann sind Sie wohl über die Kernstellen nicht hinausgekommen. Ist man agl æ c , so bedeutet es, Größe zu haben, im Guten oder im Schlechten. Mein Sohn hat sie. Er hat seine Familie umgebracht. Beinahe wäre auch ich untergegangen in seiner Größe. Aber ich habe mich dazu entschlossen, mich in seinem Kielwasser treiben zu lassen. Ich wusste mir nicht anders zu helfen. Die Mutter eines Monsters.
    Und dann so etwas. Dann taucht plötzlich diese neue Erfindung auf, dieser Plan: etwas, womit sich der Krieg beenden lässt. Die Französin hat agl æ ca , kein Zweifel. Eine göttliche Schmiedin ist sie vielleicht. Oder ein weiblicher Prometheus, eine Diebin des Feuers. Sie hat keine Ahnung, was mein Sohn mit dem Ding anstellen wird, das sie in ihrer Schmiede fabriziert. Oder vielleicht doch. Vielleicht hegt auch sie ihre Pläne. Die Geschenke der Götter waren seit jeher gefährlich. Das Schwert eines Helden könnte die Klinge sein, an der er selbst stirbt. Etwas in der Art. Aber ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass sie die Welt so sieht. Sie ist nicht … klein … genug.
    Doch etwas in mir sagte: Nein. Es reicht. So geht es nicht weiter. Ich werde es nicht zulassen, dass er sich die Welt nach seinem eigenen Bilde formt. Schrecken und Krieg und Selbstsucht. Nein.« Dotty Catty sackt in sich zusammen. Sie wedelt ein-, zweimal mit ihren Händen vor dem Gesicht, verscheucht Fliegen und Erinnerungen. Edie vermutet, dass sie den kleinen Shem Shem Tsien vor sich sieht, der nach einem verlorenen Ball oder einem Lieblingshaustier sucht: Mutter, kannst du mir helfen? Nein, mein Kind. Nicht jetzt. Jetzt nicht mehr.
    »Also habe ich ihn an Ihren König verraten. Aber ich habe darauf bestanden, dass ich mich nur mit einer Frau treffen werde. Sie dachten, es hätte mit den Traditionen unseres Landes zu tun. Bah! Was kümmern mich hier und jetzt die Traditionen? Glauben Sie, dass mich das schert? Ich schmiede ein Komplott gegen meinen Sohn. Natürlich interessiert es mich nicht, wer in mein Zimmer kommt. Meinetwegen können sie mir die ersten fünf Regimenter der britischen Armee in Indien schicken! Schickt sie mir alle, nackt wie Gott sie schuf! Würde mir nicht das Geringste ausmachen. Aber mir war klar: Wenn sie eine Frau schicken, dann wird sie etwas ganz Besonderes sein. Um überhaupt diese Arbeit ausführen zu können, um akzeptiert zu werden, um mit so etwas betraut zu werden. Sie würden eine sorgsame Entscheidung treffen müssen. Die Beste schicken.« Die Witwe Khatun schüttelt den Kopf, und Edie kann Hagebutten und Öl riechen. Dunkle, forschende Augen messen sie. Sie will etwas.
    »Ich habe die Wahl. Ich kann bis zu meinem Tod weitertreiben im Kielwasser des Schicksals eines Mannes, oder ich kann mein eigenes Schicksal bestimmen. Ich kann mich dazu entscheiden, auf meine eigene Weise groß zu sein. Ich kann mir eingestehen, dass auch ich ein wenig agl æ ca in mir trage. Also habe ich nach Ihnen geschickt.«
    Edie nimmt den Faden auf, der ihr gereicht wird. »Wozu?«
    »Diese Soldaten da unten – die befolgen Ihre Order?«
    »Ja.«
    » Agl æ c-wif . Eine Frau, die es in sich hat. Eine Teufelshexe oder eine Göttin.

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