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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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des Gemetzels – ein Schlachtfeld aus Gliedern, als wäre ein Schachspiel lebendig geworden und dann mitten im Zug wieder erstarrt.
    Zuerst muss Edie an die Höhle der Medusa denken, die gefüllt ist mit den versteinerten Leichen ihrer besiegten Gegner. Dann fragt sie sich, ob irgendwann einmal ein urzeitlicher Gletscher durch diese Höhle gerauscht ist und seine gefrorenen Passagiere hier entsorgt hat, und schließlich, ob der Opium-Khan unter seinem Thron einen Friedhof seiner Feinde errichtet hat. Dann wird ihr klar, dass all die Kämpfer – die übereinanderliegen, durchstochen auf Speeren hängen oder mit vorgebeugtem Oberkörper auf die Knie gefallen sind – aus Metall bestehen. Der Boden ist übersät mit Zahnrädern und Sprungfedern, Drähten und Riemen, und in der gesamten Höhle riecht es nach erhitztem Metall und Schmiedearbeit. Als Dotty Catty sie durch all das hindurchführt, kann Edie auf den wunderschönen zerbrochenen Armen und den ausgefallenen Masken die Signaturen einzelner Ruskiniten-Handwerker erkennen. Zahnräder ragen aus polierten Messinghäuten, und die dunklen, schmutzigen Flecken, die aus den Wunden rinnen, sind aus Öl, nicht aus Blut. Eine Legion von Homunculi.
    Sie tritt näher heran und wird beinahe einen Kopf kürzer gemacht, als der nächstbeste Krieger urplötzlich sein Schwert schwingt. Sie weicht zurück, und der Schlag rauscht an ihr vorbei. Sie macht große Augen: Der Homunculus wird nur durch die Waffe eines anderen am Boden festgehalten, die sich durch seinen Körper gebohrt hat, aber sein augenloses Gesicht schaut ihr trotzdem hinterher. Einen Augenblick später dreht auch sein Gegner den Kopf in ihre Richtung. Als Edie stehen bleibt, blicken sie wieder einander an. Hinter ihr hört sie Songbird fluchen.
    »Einige reagieren auf Licht«, sagt Dotty Catty leise, »andere auf Geräusche. Sie sind unbeholfen und simpel. Aber bilden Sie sich nicht ein, dass sie harmlos wären. Sie lernen. Frankie sagt, es wäre eine zu große Mühe, sie von vornherein mit Intelligenz auszustatten, also fangen sie dumm an und werden mit der Zeit immer weniger dumm. Sie beschreiben ihre eigenen Lochkarten. Auch wenn man mir erklärt hat, dass es keine richtigen Lochkarten sind. Es ist alles sehr modern. Ihre Auffassungsgabe hat selbstverständlich Grenzen, aber Frankie hat sie alle miteinander verbunden. Sie scheinen Individuen zu sein, aber sie sind … wie Bienen. Ein Schwarm. Allerdings ein Schwarm, in dem jedes Mitglied die anderen hasst. Frankie meint, sie seien unbrauchbar, da ihre Kapazität zu klein sei. Sie lernen nur wenig, bis sie keinen Speicherplatz mehr haben. Aber sie können einen überraschen.«
    Na, und ob.
    Vorsichtig wählt Edie einen Weg, auf dem sie sie alle auf Abstand halten kann, was sich als schwierig erweist: Die gesamte Höhle ist ein Schlachtfeld aus kaputten mechanischen Armeen, ganze Soldatengenerationen, deren Spannbreite von überaus menschenähnlichen Exemplaren bis zu weitaus kruderen und schließlich zu hilflosen, eigentümlichen Kästen mit zerbrechlichen Armen zurückreicht. Alle sind miteinander verbunden, halb oder vollständig zerbrochen, und aus den klaffenden Wunden kringeln sich Lochstreifen, Lochkarten und Sprungfedern. Es gibt ein Wort. Ja. Roboter. Sklaven aus Metall, geistloses Uhrwerk, gefangen in seinem eigenen, niemals endenden Krieg.
    Edie beobachtet, wie ihr Team all das aufnimmt, und hofft aus ganzem Herzen, dass ihre Männer die Roboter nicht als schaurige Spiegelungen ihrer selbst sehen. Einer der Kästen umklammert Flagpoles Bein. Er tritt danach und springt dann so lange darauf herum, bis sich das Metall wie eine Ziehharmonika faltet und die zupackende Hand aufgibt.
    »Beharrlicher kleiner Scheißkerl«, sagt Flagpole halb bewundernd und dann, als die anderen ihn schief von der Seite anschauen: »Was? Darf man hier die Möbel nich anfassen, oder was?«
    Edie führt sie tiefer in die Höhle hinein.
    Irgendwann einmal muss der Fluss hier ungehindert hindurchgeströmt sein, aber jetzt ist die Höhle gefüllt mit Rädern und Turbinen, gewaltigen Schrauben, die sich in Gerüsten und Tanks drehen, mit Armaturen und Antriebswellen, die auf geölten Auflagerungen summen. In großer Zahl schlagen Kupferspulen Funken hinter Glasschilden, die sie vor der Feuchtigkeit schützen, und Kabel- und Drahtschlaufen verbinden sie in dieser endlosen Stadt elektrischer Kapazität wie Stahltrosse mit zischenden Kugeln, Schmelztiegeln und noch seltsameren Dingen:

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