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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Scheiben aus silbrigem Metall, die in der Luft kreisen und hoch aufragende schwarze Stäbe, über denen leuchtende Bögen elektrischen Lichts tanzen.
    Dicke Kabel verlaufen von einer Arbeitsbank an der Höhlenwand zu einer schmalen Spalte, die an ihrer breitesten Stelle etwa anderthalb Meter misst. Ein seltsames, flackerndes Licht, das nicht blau ist wie die radioaktiven Lichtspiralen im Thronsaal, sondern klarer, weißer, taucht in sporadischen Zuckungen auf. Und dann, einen Augenblick später, hört Edie Schüsse. Schlimmer noch: Sie hört Amerikaner.
    Edie drückt sich dicht an die Wand und tritt näher. Der Korridor verbreitert sich ganz plötzlich, und dann riecht es nach Urwald und etwas anderem: ein intensiver, beißender Säugetiergestank, heißes Metall und Stroh.
    Sie umrundet eine Ecke und stellt fest, dass die Höhle sich zum Inneren eines üppigen, nächtlichen Bergs hin öffnet, und sieht – von einer Kinoleinwand beleuchtet – reihenweise graue Beine, hoch aufragende Flanken und faltige Rüsselgesichter, die in stummer Faszination das Bild eines Mannes betrachten, der mit seinem Revolver verzweifelte Schüsse in eine dunkle Gasse abfeuert.
    »Nein, zum Teufel!«, ruft der Flüchtling. »Lebendig kriegst du mich nie, Bulle!«
    Edie holt gerade Luft, um etwas auszurufen, aber Dotty Catty zieht sie zurück.
    »Sie mögen es nicht, wenn man sie während des Films stört«, sagt sie ganz leise.
    »Es sind Elefanten«, wirft Edie ein.
    »Ja. Zur Zeit meines Vaters haben wir Theaterstücke für sie aufgeführt und Konzerte gegeben. Jetzt schauen sie Filme.« Da Dotty Catty dies offenbar für ziemlich normal hält, erhebt Edie keinen Widerspruch. Die alte Frau seufzt. »Sie sind alles, was mir geblieben ist«, murmelt sie so leise, dass sie von den Schüssen des Films beinahe übertönt wird. »Die treuen Freunde meiner Vorväter. Wie Kinder. Sie vertrauen mir. Ihm nicht. Nur mir. Also will er sie vernichten.
    Sind sie gepanzert, kann man sie nicht aufhalten. Aber ihr Geschenk an uns ist, dass sie sich nicht zum Bösen gebrauchen lassen. Es sind Soldaten des Herzens, keine Maschinen. Und deshalb braucht er auch dieses andere Ding, diesen Anschauungsapparat. Weil sich meine Elefanten von ihm nicht befehligen lassen. Weil er böse ist.«
    Ihre Stimme bleibt ruhig und gleichmäßig, aber ihre Wangen sind feucht. Edie nimmt sie nicht in den Arm, denn sie möchte nicht, dass sich die Frau, die es in sich hat, an ihrer Schulter ausweint.
    »Frankie ist hier fertig«, sagt Dotty Catty kurz darauf.
    Edie folgt der Witwe Khatun in eine weitere Kammer, in der jemand ausgesprochen französisch ist.
    Eine Schar von Ruskiniten schuftet an einem Gegenstand, der wie ein großes Aquarium aus Messing aussieht. Es hängt an einem Flaschenzug oder Kran, und ein breitschultriger Mönch zieht es zusammen mit zwei anderen angestrengt in die Höhe, während seine Brüder den Behälter abstützen, der sich aus dem Wasser erhebt. Die Flüssigkeit allein, schätzt Edie, muss eine Tonne wiegen, und dann kommt noch das Metall hinzu. Der Flaschenzug ist offenkundig sehr gut kalibriert.
    Im Zentrum von alledem steht eine kleine Person, der die schwarzen Haare vom Kopf abstehen und die eine billige Damenbluse trägt, die schon bessere Zeiten gesehen hat. Sie hat sich eine Lederschürze umgebunden und eine Hose angezogen, die irgendwann einmal ein Verdunklungsvorhang oder eine Tagesdecke gewesen sein muss. Selbst aus dieser Entfernung kann Edie hören, dass sie sich beklagt: ein scharfes rhythmisches Abkanzeln, das man mit viel gutem Willen vielleicht »Kritik« nennen könnte. Der Adressat ihres Ärgers ist ein kräftiger Ruskinit mit gehetztem Gesichtsausdruck und Schmiedehandschuhen.
    »Wird es … Du bist ein Idiot! Ja, Denis, das bist du. Schau! Du hast die Welle unterbrochen, und nun müssen wir von vorn anfangen … Non! Non, der Apparatus ist perfekt. Er wird halten … das wird er! Er wird es, weil ich es sage! Die konstruktiven und destruktiven Interferenzmuster werden abgebrochen durch … oh, nom de Dieu! Er ist gar nicht eingeschaltet! Warum ist er nicht … Schau! Hast du dir überhaupt die Mühe gemacht, die Sekundärspulen anzuziehen? Mais non , das hast du nicht …«
    »Oh, du liebe Zeit«, murmelt Dotty Catty. »Ich hoffe, wir haben uns keinen schlechten Zeitpunkt ausgesucht.«
    Die Frau mit den dunklen Haaren – Edie schließt aus den merkwürdig ungleichmäßigen Spitzen und einer kurioserweise beinahe kahlen Stelle,

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