Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH

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Verstehen Sie?«
    »Nein. So in etwa.«
    »Wenn ich dies hier tun muss – wenn ich den letzten mir verbliebenen, mörderischen Sohn verraten muss – dann soll es ein Akt der Größe sein. Ich will nicht sagen, dass ich groß bin. Nur dass diese Art von Entscheidung eine große ist. Also schön: Lassen Sie es eine Angelegenheit unter Frauen sein, die es in sich haben. Unter Königinnen.«
    »Es … es tut mir leid, dass man mich geschickt hat. Ich bin nicht so bedeutend.«
    »Pffft. Sie haben keinen Titel, meinen Sie. Sie sind nicht Lady Edie oder Herzogin Edie.«
    »Nein, bloß die simple alte Edie.«
    »Und doch sind Sie hier, am anderen Ende der Welt, im Auftrag Ihres Königs und mit Soldaten, die Ihrem Befehl folgen. Sie haben etwas erreicht.«
    »Kleinigkeiten vielleicht.«
    »Mit großen Ergebnissen. Sie spielen auf der ganz großen Bühne.«
    »Ich nehm’s an.«
    »Und Sie werden das hier durchziehen. Sie werden es gut hinbekommen, ganz gleich, was es kostet?«
    »Das werde ich.«
    »Dann sind Sie eine Frau, die es in sich hat, Commander Banister. Sie werden sich sehr gut schlagen. Sie werden Geheimnisse und Schätze und Waffen an sich reißen. Denn dies ist der zweite Punkt: Ich habe einen Schatz. Haben alle alten Schachteln und Hexen, nicht wahr? Ein großer Schatz, der nicht von jemandem wie Shem Shem Tsien gehütet werden darf. Sie müssen sowohl die Französin mit ihren unfassbaren Ideen als auch meinen Schatz mitnehmen, und Sie müssen beide verschwinden lassen, damit sie in Sicherheit sind.«
    »Mein Auftrag besteht lediglich darin, dass ich mich um die Wissenschaftlerin kümmere.«
    »Natürlich. Aber um sich um die Wissenschaftlerin kümmern zu können, müssen Sie tun, was ich von Ihnen verlange. Sonst werden Sie von mir nicht die geringste Hilfe erhalten.«
    Verrückte alte Hexe , denkt Edie Banister voller Anerkennung und streckt ihr die Hand entgegen. Dotty Catty lächelt – ein schrecklicher Anblick – und schüttelt sie kraftvoll. Consumatum est .
    »Wir sind aufbruchsbereit«, sagt eine gedämpfte, nervöse Stimme an der Tür. Edie dreht sich um und erblickt einen blassen, jungen Ruskiniten in einer Art Warm-Wetter-Version ihrer typischen Arbeitstracht, der sehr unglücklich und heimlichtuerisch aussieht, aber versucht, tapfer zu wirken.
    Dotty Catty geht voran.
    Shem Shem Tsien ist ein Mann, der, nachdem er sich seinen Vergnügungen hingegeben hat, gern mit der Hand auf seinen Eroberungen schläft. Inmitten der halb verspeisten Schwankarkasse, Reihen von Krügen und schlummernden, erschöpften Liebesdienerinnen – Edie erkennt Zu Ihren Diensten ganz oben auf dem Haufen – ruht der Opium-Khan auf der Seite und träumt von Krieg und Brandschatzung. Edie fragt sich angewidert, ob er den gekreuzigten Bischof gezwungen hat, sich die gesamte Orgie anzuschauen.
    Dotty Cattys Rettungstrupp schleicht geschmeidig an der Türschwelle zum Saal des schlafenden Khans vorbei, durch Korridore aus behauenem Stein und Treppen hinab zu grob ausgeschlagenen Tunneln und einem Labyrinth aus Gängen, bis ein seltsamer, ätzender Geruch die Luft erfüllt und ein Geräusch ertönt, als würde Wasser auf eine riesige Basstrommel schlagen. Dotty Catty hebt die Hand, woraufhin ihre zwei Begleiter auf dem Korridor beiseitetreten und warten.
    Vor ihnen befindet sich eine robuste Holztür. Dotty Catty betrachtet sie mit einer Mischung aus Vorfreude und Unsicherheit. Edie blickt sie an.
    »Dann schreiten wir mal zur Rettung, was?«, sagt sie.
    Dotty Catty nickt. Sie tritt vor und öffnet die Tür.
    Edie hat schon ein Gefühl für den Raum, bevor sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, und nimmt eine große Präsenz wahr, als wäre sie in den Zwinger eines riesigen Hundes getreten und könnte spüren, wie er um sie herumschnüffelt. Und dann kommt ihr Gehirn hinterhergehinkt und setzt die Teile zusammen.
    Der Raum ist gewaltig .
    Er ist so groß, dass es eigentlich gar kein Raum ist. Eher ein Saal oder eine Höhle. Und doch ist etwas Vertrautes daran, sogar etwas Heimeliges … oh. Natürlich. Abel Jasmine hat in Cornwall genau so einen Ort aufbauen lassen, um sein umgesiedeltes Genie angemessen empfangen zu können, wenn es ankommt.
    Auf der einen Seite kann Edie einen Teil des bodenlosen Schachtes sehen, der vom Thronsaal des Khans in die Tiefe und durch den Boden der Höhle hinab bis zu einem Fluss führt. Und überall befinden sich Gestalten, mannshoch und höher, eingefroren in Positionen des Kampfes und