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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Seite – eine Geste, die sie immer für reine Schwertkampfangeberei gehalten hat. Die Klinge umrundet den Hals seines Gegners in einem perfekten Kreis, wobei der Mann sich dreht, als wolle er dem Heft mit den Lippen folgen, während sein Blut aus einer riesigen Wunde strömt.
    Edie beobachtet Shem Shem Tsien und begreift, dass sie ihn nicht besiegen, nicht einmal überleben kann, wenn Gott nicht für ein Wunder sorgt. Sie geht auf ihn zu. Ihr Blick verengt sich auf Shem Shem Tsien, auf ihn allein, und er sieht sie, nimmt aber – zu ihrem großen Ärger – ihre Absicht kaum zur Kenntnis. Er zieht eine Pistole und feuert sie mit der linken Hand ab, und nur Flagpoles breiter Rücken bewahrt sie vor dem Tod.
    Flagpole starrt sie mit zuneigungsvoller Wollust an. »Ey, Gräfin«, sagt er leise. »Ist wirklich ’ne Schande.« Und dann stürzt er nach vorn und in ihre Arme, und sie kann das Loch in seinem Rückgrat erkennen.
    Shem Shem Tsien lächelt, und Edie spürt seine Befriedigung. Sie kann ihn in ihrem Kopf hören. So viel zu den Begrenzungen des Budo, Commander Banister. Ich halte es für ein besonderes Vergnügen, einen Offizier dazu zu zwingen, dem Tod der Soldaten zuzusehen, die in seiner Obhut stehen. Es hat eine gewisse Pikanterie. Meinen Sie nicht auch?
    Ihr wird klar, dass sie verloren hat. Frankie wird davonkommen, das ist wahr. Edie wird ihre Mission abgeschlossen haben. Aber sie wird in einem fernen Land den Tod eines Geheimagenten gestorben sein, und niemand wird es jemals erfahren. Sie fragt sich, ob Abel Jasmine oder Clarissa Foxglove weinen werden. Sie fragt sich, wie viele der Geliebten ihrer Soldaten daheim in zerlumpte Kissen heulen werden und ob sie Commander James Banister persönlich die Schuld geben oder nur das Schicksal des Kriegs beklagen werden. Sie hebt die Hände in der achtsamsten Verteidigungsposition und bereitet sich aufs Sterben vor.
    Zu ihrer Überraschung hebt Shem Shem Tsien seine Hand zum Salut. Er sieht beinahe menschlich aus. Und dann, einen Augenblick später, erkennt sie die Freude darüber in seinen Augen, dass sie sich ergibt. Kein Mitgefühl. Die Sättigung des Appetits.
    Er kommt auf sie zu, und seine Stiefel berühren dabei kaum den Fliesenboden. Sie fühlt sich ungeschickt und klein, während sie ihre Verteidigungshaltung anpasst. Er lächelt wieder. Ich töte Sie Stück für Stück, Commander.
    Die Erlösung kommt ganz unerwartet. Mit einem scharfen Knacken und einem Geräusch, das wie ein Hornruf klingt, schnappt Edies unhandliche Kiste auf, und aus ihrem Inneren stürmt eine kleine, wütende graue Gestalt, die mit verzierten Metallplatten gepanzert ist. Sie richtet den Blick auf Edies lilafarbene Schärpe und stellt sich dann beherzt zwischen sie und ihre Feinde. Dann hebt das Wesen den Kopf, und der Hornruf ertönt erneut: ein schriller, hoher Ton, erstaunlich laut und durchdringend. Von irgendwoher ertönt eine Antwort: ein tiefes, auftrumpfendes Jagdhorn oder eine Blaskapelle, die irgendetwas ohne Melodie spielt und über eine Tuba von der Größe eines Hauses verfügt.
    Edie erkennt das graue Ding erst, als das Tor der Demut nach innen niedergerissen wird und durch das Loch in der Wand in einem mächtigen Strom massive, muskulöse Wesen drängen, die einen Duft von Schweiß und Dung und Gewürzen mit sich führen. Shem Shem Tsien weicht vor ihr zurück und fuchtelt in einer wilden Geste der Fassungslosigkeit mit seinem Schwert in der Luft herum. Edie starrt das Schauspiel an und bricht dann in hocherfreutes Triumphgeschrei aus.
    Die größte Kavalleriestreitkraft aller Zeiten, zusammengetrommelt von einem Ende des großen Flusses Addeh zum anderen, von den flachen Katir-Gebirgen bis zum weiten blauen Indischen Ozean, steht bereit, um sie zu retten. Die Vorhut bildet eine Wand mütterlicher Empörung, die alles Licht verdeckt, die Soldaten des Opium-Khans durchpflügt und sie ihrem Herrn hinterdrein flüchten lässt. Hinter diesem Titan kommen noch größere Schatten zum Vorschein, die Wände und Türen niederreißen und vorandrängen, wobei sie ungezügelte Wut hinaustrompeten. Alle werden angetrieben von Edies neuem gepanzerten Anführer, der ihr höchstens bis zur Schulter reicht, aber geradezu überquillt vor Trotz und Pflichtbewusstsein.
    Dotty Cattys Geschenk: ein Baby-Kriegselefant.
    Die Windrichtung der Schlacht dreht sich.
    Es ist vorbei. Das heißt, es werden keine Schusswaffen mehr abgefeuert; trotzdem schreit Amanda Baines ziemlich laut herum. Der

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