Der goldene Schwarm - Roman
dreht sich um, schüttelt leicht ihre Hand aus und stöhnt. Sie lächelt ein schwaches kleines Lächeln und nimmt eine erwartungsvolle Haltung an. »Geht«, sagt sie noch einmal, ohne sich umzuschauen.
Shem Shem Tsien hebt seinen Degen hinter seinem Kopf.
Bastion stößt auf Pollys Armen ein schwaches Heulen aus, aber es liegt nur wenig Widerstand darin, bloß ein alter, bis ins Mark reichender Kummer, der zu groß ist für einen kleinen Hund.
Edies Füße flackern über den Boden, zügig und sehr entschlossen. Kleine Schritte, perfekt gewählt. Ihr Rücken ist gerade, ihre Hände ausgestreckt, wie bei einer Lehrerin, die ein Orchester dirigiert. Sie bewegt sich erneut, und die Spitze des Degens gleitet an ihr vorbei, als wenn ihr Gegner schlichtweg missverstanden hätte, wozu sie dient. Sie schwankt auf ihn zu, und ihre Hand greift nach der Waffe, jedoch erfolglos. Sie trennen sich, nehmen wieder Abstand zueinander ein. Edie lächelt und winkt mit der Hand. Ein winziger Lichtkreis glitzert auf: ein Halbmond aus Metall. Shem Shem Tsien wirft einen Blick auf seine Hüfte und muss eine leere Scheide vorfinden. Edie öffnet ihre andere Hand und lässt einige Haare davonwehen. »Beinahe hätte ich Sie erwischt.«
Er lächelt. »Nein.«
Der Opium-Khan bewegt sich wieder mit derselben unbekümmerten Geschmeidigkeit voran, und Edie wirbelt herum, um sich ihm mit ausgebreiteten Armen entgegenzustellen. Ihre Füße fegen über den Boden, und auf ihrem Gesicht liegt ein gelassenes Lächeln der Gewissheit.
Ihre Arme erfassen Shem Shem Tsiens Arme, und das kleine Messer lenkt die Klinge des Degens ab, als er in letzter Sekunde die Richtung ändert, sie ihn packt und vom Boden abhebt: Yama Arashi . Sie werden eins.
Shem Shem Tsien taumelt durch die Luft und landet auf dem Rücken. Edie folgt ihm nach, ihre Hand am Degen, um die Klinge dicht an seinen Hals zu bringen, aber der Opium-Khan verändert seinen Griff und gibt den Degen nicht frei. Er wehrt sie ab und schaut lächelnd hinauf in ihre Augen.
»Die Grenzen des Yama Arashi , Commander Banister«, murmelt er beinahe zuneigungsvoll.
»Ach ja?«, faucht Edie.
»Ja. Es funktioniert mit Schwertern. Aber weniger gut mit Pistolen.«
Als ihr dämmert, was das bedeutet, schaut sie an sich herunter und sieht, wie sich seine andere Hand gegen ihre Brust presst und die Mündung einer kleinen modernen Schusswaffe gegen ihre Rippen.
»Kümmert euch um Bastion«, sagt sie ruhig in den Raum. »Er kommt nicht gut alleine zurecht. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass ich euch gesagt habe, dass ihr hier verschwinden sollt. Die jungen Leute heutzutage …« Und dann schaut sie wieder ihren Feind an. »Du glaubst, du hättest gewonnen, oder? Aber jetzt steckst du so richtig in Schwierigkeiten, du dämlicher Mistkerl.«
Shem Shem Tsien hebt eine Augenbraue und drückt den Abzug. Edie Banisters Rücken bäumt sich mit Wucht auf, sie erschaudert einmal, und dann stirbt sie, bricht als Haufen aus Lumpen und Knochen auf dem Boden zusammen.
Einen Moment lang herrscht Stille, als wäre ein Musikstück zu Ende gegangen. Dann richtet Bastion, der Hund, seine rosafarbenen, blinden Augen auf den Opium-Khan und stößt aus der Tiefe seiner Brust einen harten Laut aus. Du gehörst mir, alter Teufel. Mir.
Shem Shem Tsien erhebt sich.
»Oh, Mr Spork. Wie ungehobelt von Ihnen, alte Geschichten hier hineinzuziehen. Alten Ballast . Wirklich, das wird Ihnen nichts nützen. Aber ich sollte auch nicht überrascht sein. Sie sind alles in allem eine recht vulgäre Person.« Er deutet auf die Wunde auf seiner Stirn, den lilafarbenen Bluterguss.
Joe Spork schaut ihn nur an. Ja. Der Bart, die wilden Augen, das wuchernde Haar, alles verschwunden, und stattdessen dieser weltgewandte, erschreckende Mann.
»Vaughn Parry«, sagt er.
Der andere schüttelt den Kopf.
»Nein. Ich bin Shem Shem Tsien. Der Mann am Draht. Vaughn Parry ist tot. Ein Gefäß aus Fleisch, das ich bewohne. Ein Avatar, wenn Ihnen das lieber ist.« Er lächelt.
»Wenn Sie nicht vorhaben davonzulaufen – und ich fürchte, Commander Banister hatte vollkommen recht, als sie Ihnen dies empfohlen hat –, lassen Sie mich Ihnen eine Geschichte erzählen. Im Gegensatz zu der letzten, die Sie von mir gehört haben, die natürlich vollständig fiktiv war, ist diese wahr. Es ist die wahre Geschichte, Joshua Spork, der Wiedergeburt eines lebendigen Gottes – Sie können sie also als eine Art neuer Bibelgeschichte betrachten.«
Der
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