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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Vadim, das ist jetzt so eine Wenn-du-das-gelesen-hast-schneid-dir-selbst-die-Kehle-durch-Situation, klar? Das Arschloch ist niemals hier gewesen.«
    Jorge hat keinen Nachnamen. Er ist bloß Jorge, der dreckige kleine Junge mit den dicken Armen, der seinen Kuchen brav mit den anderen geteilt hat und immer der Gruppe hinterhergewetzt ist. Jorge, der Erste unter denjenigen, die den Markt nach dem Tod seines Königs am Leben erhalten haben. Er ist Mathew wie ein Welpe nachgelaufen, hat ihn angebetet. Joes Vater hat Gefolgsleute und Jünger mit derselben Selbstverständlichkeit um sich geschart, mit der andere Männer atmen, und Jorge überträgt diese Loyalität lächerlicherweise auch auf Mathews Sohn. Damals war er klein für sein Alter. Auch jetzt ist er klein, aber mit reiner Lautstärke und einem russischen Appetit macht er diesen Umstand wett. Sein Atem, den er mit Nachdruck in alle Richtungen verströmt, riecht nach gesalzenem Fisch und Wodka. Joe ist sich ziemlich sicher, dass Jorge versucht, seiner Herkunft und den Erwartungen der Leute gerecht zu werden. Wer klingt denn bitte schön immer noch wie ein Seemann aus Krasnojarsk, wenn er sein gesamtes Leben in London verbracht hat? Nur Jorge.
    Vadim, der sich auf der anderen Seite des Schreibtisches befindet, ist ein Mann in teurem Anzug und mit Goldrandbrille, und in seinen Augen liegt eine große Hochachtung vor sich selbst, die man leicht als Sinn für Poesie oder Seelenschmerz missverstehen könnte. Sein Blick ruht auf Polly Cradles Dekolletee, bis sie ihn mit einem breiten, herausfordernden Grinsen bedenkt.
    »Hör mal, Vadim«, sagt Jorge und wirft seine kurzen Arme in die Luft. »Ich muss mit diesem Jungen reden. Ist ’ne Ehrenschuld, okay? Also, schau, ich will mal ehrlich sein: Du bist der schlechteste Erotikfotograf, der auf dieser Erde rumläuft. Ganz im Ernst: Es ist besser, du richtest die Kamera nicht auf die Mädchen, sondern auf die Umgebung. Diese Bilder …« Er hält ein Bündel Fotografien hoch und blättert sie durch. »Das hier sieht aus wie ’ne medizinische Untersuchung. Das hier ist reine Botanik, vielleicht auch Agrikultur. Joe, Herrgott, hast du das hier gesehen? Wonach sieht das für dich aus?«
    »Es ist … na ja, ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich um eine Aubergine handelt.«
    »Dank dem Lamm Gottes, alter Freund, es ist eine Aubergine. Aber siehst du auch, dass auf dem Bild sonst nur Scheiße zu erkennen ist?«
    »Ich sehe es, Jorge, ja.«
    »Und dabei ist es ein Foto von Vadims Freundin Swetlana, die – ich übertreibe nicht, okay? – die Frau ist, die ich auf der ganzen Welt am liebsten nackt sehen würde, gleich nach Carrie Fisher in Die Rückkehr der Jedi-Ritter . Auf diesem Bild ist sie komplett nackt. Wenn es nicht eine Nahaufnahme wäre, würde man Feuer fangen und beim Angucken in die Luft fliegen. Würdest du gern mal die Totale sehen?«
    »Na gut, ja.«
    »Das würden wir alle, Joseph, aber das ist leider nicht möglich, da dieses Arschloch hier keine Totale aufgenommen hat. Geh bitte, Vadim. Ich muss mich an der Schulter meines Freundes ausweinen, okay?«
    Joe Spork wartet, bis sich Vadim mit seiner an die Brust gedrückten Auberginen-Pornografie verzogen hat, und dann nimmt sein Gesicht wieder den neuen, härteren Ausdruck an. »Es geht ums Geschäft«, sagt er.
    »Ist das dein Ernst? Ums echte Geschäft? Nicht um die verschissenen Spielautomaten?«
    »Das echte Geschäft.«
    »Du wirfst mich raus, Joe? Willst ganz plötzlich den Markt leiten?« Jorge macht Witze. Albert herum. Sein offenes Gesicht zeigt keine Spur von Bösartigkeit oder Beunruhigung. Joe Spork fragt sich, wo die Waffen versteckt sind und die kampfbereiten Männer.
    »Nein, Jorge. Der Markt gehört ganz dir. Ich steige wieder ins Spiel ein, das auf jeden Fall, aber deinen Stuhl will ich nicht. Zu viel harte Arbeit für einen ehrlichen Schurken wie mich.«
    Erleichterung huscht über Jorges Gesichtszüge. Seine Schultern entspannen sich ein wenig, nun, da sie nicht mehr das Gewicht einer möglichen Gewaltentladung tragen. »Ein ehrlicher Schurke! Ja! Mein Gott, Joe, ich kann dir sagen: Wir sollten mehr ehrliche Schurken auf dieser Welt haben!«
    »Ich bin froh, dass du das sagst, Jorge, ich brauche nämlich Hilfe.«
    Jorge schaut ihn ernst an. »Soweit ich gehört habe, gibt’s die Kanzlei Cradle nicht mehr, und du bist auf der Flucht. Vielleicht bist du zu pleite fürs Geschäft. Ich kann dich wegbringen. Ein dänischer Botschafter hat ein

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