Der goldene Thron
war, errötete er. Gott, wie peinlich! Wenn er sich irrte, würde man ihn auslachen, doch das wäre noch der beste Ausgang, denn mit einer solchen Schmach würde er leben können. Was aber würde geschehen, falls es stimmte? Mädchen durften keine Männerkleider tragen und sich als Jungen ausgeben. Darum würde Alan gewiss in den Kerker geworfen werden, womöglich ausgepeitscht oder gar gefoltert und schließlich aus Tancarville verjagt werden!
Der Gedanke, Alan niemals wiederzusehen, war Guillaume unerträglich. Wir sind Freunde, und einen Freund verrät man nicht, dachte er. Andererseits hätte ein Freund ihn doch in ein so schwerwiegendes Geheimnis einweihen müssen, oder nicht? Ob Alan ihm den Gewissenskonflikt, in dem er sich nun befand, hatte ersparen wollen? Oder hatte er befunden, dass es zu gefährlich war, sich ausgerechnet ihm, einem jungen Adeligen, anzuvertrauen?
Guillaume rang nach Atem. Was sollte er nur tun?
Oktober 1164
S echs Monate war es her, dass Guillaume Alans Geheimnis entdeckt hatte. Zu niemandem aber hatte er je ein Wort darüber gesprochen, und noch immer ging er jeden Sonntag in den Wald, um mit Alan zu üben. Obwohl er den Schwertkampf liebte wie kaum etwas anderes, waren es nicht die Übungen, die ihn auf die Lichtung lockten, sondern Alan. Alan, die noch immer glaubte, dass auch er sie für einen Jungen hielt. Alan, sein Freund, und das Mädchen, von dem er immer häufiger träumte.
Guillaume seufzte bei dem Gedanken an sie und machte sich auf den Weg zu ihrem Treffpunkt. Wie üblich achtete er darauf, dass ihm niemand folgte. Thibault beäugte ihn noch immer voller Herablassung und versuchte, ebenso wie Bernard, ihm zu schaden, wo immer er konnte. Immerhin war Thibaults Interesse an Alan ein wenig verblasst, seit er sich regelmäßig mit Rose traf, einer englischen Magd, die früher häufig mit Alan im Hof gesessen und ihre Mittagsmahlzeit geteilt hatte. Vermutlich hatte Thibault den jungen Schmied für einen Mitstreiter um Roses Gunst gehalten und ihn darum so schlecht behandelt. Guillaume konnte sich eines kleinen Grinsens nicht erwehren. Wenn Thibault wüsste!, dachte er und beschleunigte seinen Schritt.
Als er an der Lichtung ankam, wo Alan bereits auf ihn wartete, blieb er stehen und sah sie einen Moment lang wie gebannt an. Ihr rotes Haar leuchtete im Sonnenlicht und bildete mit den herbstlich verfärbten Blättern des Waldes eine wunderbare Einheit. Ihre Haltung, die Zungenspitze in ihrem Mundwinkel, wenn sie sich konzentrierte, ihr kehliges Lachen, wenn erscherzte, ihre wunderschönen moosgrünen Augen … Guillaume hatte sich längst verliebt.
»Da bist du ja!«, rief Alan und lachte, sodass ihre Augen zu kleinen Schlitzen wurden. »Ich hab schon gedacht, du kommst nicht mehr.« Sie schlug ihm kräftig auf die Schulter.
Guillaume lächelte und tätschelte freundschaftlich ihren Oberarm. Sie bemühte sich sehr, wie ein Junge zu wirken, und es gelang ihr in der Tat außerordentlich gut. Manchmal konnte sogar er für eine Weile vergessen, wer Alan wirklich war.
»Lass uns gleich anfangen«, rief er und hob sein hölzernes Schwert. Solange sie übten und sich auf den Kampf konzentrierten, waren sie nur zwei Freunde mit der gleichen Leidenschaft.
»En garde!«, rief Alan aufgekratzt und stellte sich in Kampfposition.
Sie fochten so lange, bis ihnen der Atem fehlte, dann warfen sie sich ins Gras und blickten in die Wolken.
»Donovan hat mich letzte Woche zum ersten Mal selbst ein Messer schmieden lassen!«, erklärte Alan, drehte sich um und stützte die Ellenbogen auf. »Auch den Griff habe ich allein gefertigt!« Stolz glitzerte in ihren Augen. Dann fuhr sie nachdenklich mit dem Finger durch die sandige Erde. »Ich zerbreche mir schon seit einer Weile den Kopf darüber, was das Wichtigste bei einem Schwert ist.«
»Dass es gut ausbalanciert ist«, rief Guillaume und drehte sich ebenfalls um. »Und elastisch und scharf und …«
Alan lachte. »Ich kenne die Eigenschaften eines guten Schwertes. Das aber meine ich nicht. Ich meine das, was ein Schwert zu etwas ganz Besonderem macht …«, sagte sie nachdenklich und zog die Brauen zusammen.
Ihre Köpfe steckten so dicht zusammen, dass Alans Duft Guillaume beinahe um den Verstand brachte.
»Ach, du!«, rief er aus, stürzte sich auf sie und begann eine kleine Rauferei. Nur so konnte er ihr ganz nahe sein, ohne sein Wissen preiszugeben. Sie rollten herum, bis er auf ihr lag. IhrLiebhaber, dachte er, wäre ich gern. Ihr
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