Der Gottbettler: Roman (German Edition)
auf festen Widerstand gestoßen. Er sah sich verblüfft um. Ihrer beider Blicke trafen sich. Der Schmied wollte etwas sagen, wollte seinem plötzlichen Entsetzen Ausdruck geben. Doch als er den Mund öffnete, endete die Erstarrung rings um ihn, und er stürzte in die Tiefe, sich immer wieder überschlagend, mit den Armen wie wild rudernd, verfolgt von einem Wolkenhauch aus Magie, den schäumenden Wellen und den Felsen entgegen.
Terca schrie. Sie rief den Namen des Hufschmieds, immer wieder, als könnte sie ihn dadurch vor dem sicheren Tod bewahren.
Dann sah sie sein Gesicht, ein weißer Fleck inmitten des schmutzigen, zerrissenen Gewands, das seinen Körper umflatterte. Ein Arm deutete in ihre Richtung, als wollte er sie grüßen – oder sie locken, den gleichen Schritt wie er zu tun?
Caramae schlug auf einem der »Finger« auf. Sein Leib wurde auf obszöne Weise nach hinten gebogen und zerbrach dabei beinahe in zwei Teile. Wie eine leblose Puppe rutschte er am Fels weiter nach unten, langsam, viel zu langsam, dem Wasser entgegen. Terca betrachtete die breite Blutspur, die er hinterließ, und ebenso, wie sich Fleischfetzen und Teile seiner Kleidung lösten. Endlich, endlich platschte der Tote ins Wasser und versank gleich darauf, um nur wenige Sekunden später wieder hochgespült zu werden, an anderer Stelle, und gegen einen weiteren »Finger« geschleudert zu werden …
Entsetzt zog sich Terca zurück. Sie hatte dieses grässliche Schauspiel schon viel zu oft gesehen. Manchmal hatte die Cabrische See Lust darauf, mit ihren Opfern zu spielen, sie stundenlang umhertreiben zu lassen, alle Glieder zu zerschmettern und sie zu undefinierbaren Fleischklumpen zu verformen. Irgendwann verschwanden sie dann, plötzlich in die Tiefe gezogen, von einem der immer hungrigen Räuber, die hier auf Beutefang waren.
Bauschige, dicke Wolken zogen auf. Sie kündeten von baldigem Regen. Terca wollte so rasch wie möglich weg von diesem schrecklichen Ort. Die Magie rings um sie ließ ein wenig nach. Sie fand überraschenderweise die Kraft, aufzustehen und ihre Habseligkeiten zusammenzupacken, um dann ihren Lieblingsplatz zu verlassen. Sie fühlte eine selten gekannte Freiheit.
Vielleicht würde es ihr diesmal gelingen, die Wand hinter sich zu lassen. Womöglich könnte sie fortziehen von hier, ins Hinterland der Steilstädte, nach Mirce, um sich dort eine neue Existenz aufzubauen.
Doch je weiter sie sich von ihrem kleinen Flecken Fels entfernte, desto schwammiger und unbedeutender erschien ihr dieser Wunsch. Sie wollte wieder zurück, über die Cabrische See blicken, die Nase in den Wind hängen und auf das Unausweichliche warten.
Doch an diesem Tag konnte sie widerstehen. Sie würde nach Poitrea zurückkehren und sich endlich mal wieder um ihre Angelegenheiten kümmern. Es gab gewiss Arbeit für sie. Vielleicht fand sie ausreichend Ablenkung, um auch den morgigen Tag in der Stadt verbringen zu können.
Terca tat die letzten paar Schritte aus der Wand und ging vorbei an den Neugierigen, Wartenden und Sensationslüsternen, die sich hier Tag für Tag versammelten. Sie achtete nicht auf das Geflüster und das Gemurmel, das ihr nachgetragen wurde, schon lange nicht mehr. Wen kümmerte es schon, was andere Menschen dachten?
Nach oben! , stand in die Holzwand der schäbigen Hütte eines Gemüsehändlers geritzt. Immer nur nach oben!
O ja. Besser konnte man das Credo der Bewohner dieser Stadt nicht zusammenfassen. Jedermann, ob hier geboren oder von den Geschichten über Poitreas sagenhaften Reichtum in die Küstengebiete gelockt, wollte Stufe für Stufe, Bezirk für Bezirk in die höher gelegenen Wohngebiete gelangen.
Doch die Stadt machte es einem schwer, diesen Weg einzuschlagen. Viel wahrscheinlicher war der Abstieg, in jene Tiefen, in denen bittere Armut herrschte.
Und dennoch – Poitrea war schön wie ein Diamant, vor allem an Tagen wie diesen. Terca atmete tief durch. Sie roch Rosmarin, Fenchel, Lorbeer, Zimt, Anis, Warsenkraut, die unvermeidbare Salzrose sowie eine Vielzahl anderer Pflanzen und Gewürze.
Rings um sie wurde gekauft, verkauft und gehandelt. Ein Hagestolz aus der Norde hielt die Rechte fest um den Griff seines Kurzschwerts gekrampft, während er mit einem Patriarchen aus Süd-Aenas um den Preis mehrerer Zentner Butter stritt. Eine Frau, gekleidet in die rituellen Händlergewänder des Landes Lirballem, pries schlüpfbereite Raupen an, die dem Käufer nicht nur ewiges Glück bringen sollten, sondern auch
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