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Der Graf von Monte Christo 1

Der Graf von Monte Christo 1

Titel: Der Graf von Monte Christo 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandre Dumas
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erstemal in den Garten gesehen hatte. Diesmal be-gnügte ich mich nicht mit dem bloßen Beobachten; ich zog mein Messer aus der Tasche, versicherte mich, daß die Spitze gut geschlif-fen war, und sprang über die Mauer.
    Meine erste Sorge war, zu der Pforte zu eilen; er hatte den Schlüssel stecken lassen und nur zweimal umgedreht. Nichts verhinderte also meine Flucht nach dieser Seite.
    Ich begann die Örtlichkeit zu studieren. Der Garten bildete ein langes Viereck; ein Rasenplatz lag in der Mitte, an den Ecken standen dichte Baumgruppen.
    Um sich von dem Haus zur Pforte zu begeben oder von der Pforte nach dem Hause, mußte Herr von Villefort an einer dieser Baumgruppen vorbei.
    Es war Ende September; der Wind wehte, der blasse Mond, der jeden Augenblick durch dahinjagende große Wolken verschleiert wurde, ließ die zum Haus führenden Wege hell hervortreten, vermochte aber nicht die Dunkelheit der Baumgruppen zu durchdringen, in denen ein Mensch sich versteckthalten konnte, ohne befürchten zu müssen, gesehen zu werden.
    Ich verbarg mich in der Baumgruppe, an der Villefort vorbeikommen mußte; kaum befand ich mich dort, als ich mitten in dem Brausen des Windes, der die Bäume über mir beugte, etwas wie Stöhnen zu unterscheiden glaubte. Aber Sie wissen, oder vielmehr, Sie wissen es nicht, Herr Graf, daß einer, der den Augenblick erwartet, in dem er jemanden ermorden will, immer dumpfe Schreie in der Luft zu hören glaubt. Zwei Stunden verstrichen, während deren ich mehrere Male dasselbe Stöhnen zu vernehmen glaubte.
    Es schlug Mitternacht.
    Der letzte Schlag hallte noch klagend nach, da bemerkte ich einen schwachen Lichtschimmer hinter den Fenstern der Treppe, die wir eben herabgestiegen sind. Die Tür öff nete sich, und der Mann im Mantel erschien.
    Der schreckliche Augenblick war gekommen; ich hatte mich seit so langer Zeit auf ihn vorbereitet, daß ich völlig gefaßt blieb; ich zog mein Messer, öff nete es und hielt mich bereit.
    Der Mann im Mantel kam gerade auf mich zu; aber ich glaubte zu bemerken, daß er eine Waff e in der rechten Hand hielt, und bekam Furcht, nicht vor einem Kampf, sondern vor einem Mißerfolg.
    Erst als er bis auf einige Schritte an mich herangekommen war, sah ich, daß das, was ich für eine Waff e gehalten hatte, nichts andres als ein Spaten war.
    Ich hatte noch nicht zu erraten vermocht, zu welchem Zweck Herr von Villefort einen Spaten bei sich trug, als er am Rande der Baumgruppe stehenblieb, einen Blick umherwarf und begann, ein Loch in die Erde zu graben. Da sah ich, daß sich etwas in seinem Mantel befand, den er, um nicht in seinen Bewegungen gehindert zu werden, auf den Rasen gelegt hatte.
    Ich wurde neugierig und wollte sehen, was Villefort da vorhatte; unbeweglich und mit angehaltenem Atem wartete ich.
    Da kam mir ein Gedanke, den ich bestätigt fand, als ich sah, daß der Staatsanwalt einen kleinen, zwei Fuß langen und sechs bis acht Zoll breiten Kasten aus dem Mantel zog.
    Er vergrub den Kasten in dem Loch, warf es wieder zu und trat dann die frische Erde fest, um jede Spur der nächtlichen Arbeit verschwinden zu lassen. Da stürzte ich auf ihn zu und stieß ihm mein Messer in die Brust, indem ich sagte: ›Ich bin Giovanni Bertuccio!
    Deinen Tod für meinen Bruder, deinen Schatz für seine Witwe; du siehst, daß meine Rache vollständiger ist, als ich hoff te.‹
    Ich weiß nicht, ob er diese Worte gehört hat, glaube es auch nicht, denn er fi el, ohne einen Schrei auszustoßen. Ich fühlte, wie sein Blut mir auf die Hand und ins Gesicht spritzte, aber ich war trunken vor Freude. In einer Sekunde hatte ich mit dem Spaten den Kasten wieder ausgegraben; dann machte ich das Loch wieder zu, warf den Spaten über die Mauer und eilte zur Pforte, die ich doppelt hinter mir abschloß und deren Schlüssel ich mitnahm.
    Ich lief bis zum Flusse, setzte mich auf die Böschung, und ich sprengte, begierig zu wissen, was der Kasten enthielt, den Deckel mit meinem Messer.
    In eine Windel von feinem Batist war ein neugeborenes Kind ein-gewickelt; das rote Gesicht und die violetten Händchen deuteten darauf hin, daß es durch ein um seinen Hals geschlungenes Band erdrosselt worden sein mußte; da es aber noch nicht kalt war, zö-
    gerte ich, es ins Wasser zu werfen.
    Nach einem Augenblick glaubte ich wahrzunehmen, daß das Herz leicht schlüge; ich löste ihm die Schnur vom Hals, und da ich Krankenpfl eger im Hospital zu Bastia gewesen war, so tat ich, was ein Arzt in diesem Fall

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