Der Graf von Monte Christo 2
bedauert Sie, seien Sie davon überzeugt, und man bedauert besonders Ihr Fräulein Tochter.«
»Die arme Eugenie!« antwortete Danglars mit einem tiefen Seufzer.
»Sie wissen, daß sie ins Kloster geht?«
»Nein.«
»Ach, es ist leider nur zu wahr! Am Tag nach dem Ereignis hat sie sich entschlossen, in Begleitung einer befreundeten Ordensschwester abzureisen; sie sucht ein sehr strenges Kloster in Italien oder Spanien.«
»Oh, das ist schrecklich!«
Und Herr von Boville zog sich nach diesem Ausruf zurück.
»Schafskopf!« rief ihm Danglars nach, als er wieder allein war.
Dann steckte er die Quittung Monte Christos in seine Brieftasche und setzte mit einem Aufl achen hinzu: »Komm nur zu Mittag; ich werde über alle Berge sein.«
Er schloß sich ein, leerte sämtliche Fächer seines Kassenschranks, die etwa fünfzigtausend Franken in Banknoten enthielten, verbrannte verschiedene Papiere, legte andere an Stellen, wo sie sogleich auf-fallen mußten, und schrieb einen Brief, den er versiegelte und an
»Frau Baronin Danglars« adressierte.
»Heute abend werde ich ihn selbst auf ihren Toilettentisch legen«, murmelte er.
Dann zog er einen Paß aus einer Schublade.
»Gut«, sagte er, »er gilt noch zwei Monate.«
D F P-L
Herr von Boville war tatsächlich dem Leichenzug begegnet, der Valentine nach ihrer letzten Ruhestätte brachte. Es war trüb, der Himmel mit Wolken bedeckt; ein noch warmer, aber für die Blätter bereits verhängnisvoller Wind riß sie von den allmählich kahl wer-denden Zweigen und wirbelte sie auf die Menge, welche die Boulevards füllte. Der pomphafte Zug bewegte sich zum Père-Lachaise, wo sich das Mausoleum befand, das in letzter Zeit so viele neue Bewohner aufgenommen hatte. Es trug entsprechend dem letzten Wunsch der Mutter Valentines die Aufschrift: Familie Saint-Méran und Villefort.
Eine lange Wagenreihe folgte dem Totenwagen, und hinter den Wagen gingen mehr als fünfhundert Personen zu Fuß.
Es waren fast alles junge Leute, die der Tod Valentines wie ein Blitzschlag getroff en hatte, dieses schönen, keuschen, anbetungswürdigen jungen Mädchens, das in seiner Blüte dahingeraff t war.
Als der Zug das Weichbild der Stadt verließ, kam ein Vierspänner in raschem Trab und hielt plötzlich an; es war der Wagen Monte Christos. Der Graf stieg aus dem Wagen und mischte sich unter die Menge, die dem Leichenwagen zu Fuß folgte.
Château-Renaud bemerkte ihn, stieg sofort aus seinem Wagen und gesellte sich zu ihm; auch Beauchamp verließ sein Gefährt und schloß sich ihnen an.
Der Graf sah aufmerksam durch jede Lücke in der Menge; er suchte off enbar jemand. Endlich konnte er nicht mehr an sich halten.
»Wo ist Morrel?« fragte er. »Weiß einer der Herren, wo er ist?«
»Nein, wir haben ihn schon im Sterbehaus vermißt«, antwortete Château-Renaud.
Der Graf schwieg, fuhr aber fort, sich umzusehen. Endlich erreichte man den Friedhof. Das scharfe Auge Monte Christos durchforsch-te alle Gebüsche, und plötzlich verlor er jede Unruhe. Ein Schatten war unter den Sträuchern vorbeigeschlüpft, und Monte Christo hatte den erkannt, den er suchte.
Man weiß, was eine Beerdigung in dieser prächtigen Totenstadt ist: Schwarze Gruppen auf den weißen Wegen zerstreut, das Schweigen des Himmels und der Erde, nur gestört durch das Knacken einiger Zweige, einer eingetretenen Grabhecke; dann der melancholische Gesang der Priester, hin und wieder unterbrochen durch einen Seufzer, der aus einem Blumenbeet kommt, wo man eine Frau mit gefalteten Händen in Schmerz versunken sieht.
Der Schatten, den Monte Christo gesehen hatte, eilte schnell auf den Leichenwagen zu und ging neben den Trägern her. Monte Christo wandte kein Auge von diesem Schatten, der von den andern kaum beachtet wurde. Zweimal verließ der Graf die Reihen, um zu sehen, ob dieser Mann nicht irgendeine unter seinen Kleidern verborgene Waff e suche.
Dieser Schatten war Morrel, der, als der Zug hielt, sich auf einen kleinen Hügel stellte, von dem aus man das Mausoleum gut übersehen konnte, so daß ihm nichts von der ganzen Feierlichkeit entging. Er trug einen schwarzen, bis oben zugeknöpften Überrock, sein Gesicht war bleich und eingefallen, seine Hände zerdrückten krampfhaft seinen Hut.
Alles nahm seinen gewöhnlichen Verlauf. Einige Herren hielten Reden; die einen beklagten diesen frühen Tod, die andern sprachen von dem Schmerz des Vaters; es gab sogar
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