Der Graf von Monte Christo
sie.
Leben Sie wohl, gnädige Frau! erwiderte der Staatsanwalt fast freudig und führte sie bis zur Tür zurück.
Dann trat er an einen Schreibtisch, schlug mit dem Rücken seiner rechten Hand auf den Brief und sagte: Gut, ich hatte eine Fälschung, drei Diebstähle und zwei Brandstiftungen, es fehlte mir nur ein Mord – hier ist er; die Tagung wird hübsch sein.
Die Erscheinung.
Valentine war noch nicht völlig wiederhergestellt; von unwiderstehlicher Müdigkeit bezwungen, hütete sie das Bett. Den Tag hindurch wurde sie noch etwas frisch erhalten durch Noirtiers Gegenwart, der sich zu seiner Enkelin tragen ließ und, sie mit seinem väterlichen Blicke bewachend, bei ihr blieb; wenn sodann Villefort aus dem Justizpalaste zurückkam, verweilte er ebenfalls ein paar Stunden bei ihr. Um sechs Uhr zog sich Villefort in sein Kabinett zurück; um 8 Uhr erschien Herr d'Avrigny, der selbst den für die Kranke bereiteten Trank brachte; dann trug man Noirtier weg. Eine vom Arzt bestellte Wärterin blieb zurück und entfernte sich erst gegen elf Uhr, wenn Valentine entschlummert war. Sie übergab hierauf die Schlüssel von Valentines Zimmer Herrn von Villefort, so daß man nur durch Frau von Villeforts Wohnung oder durch das Zimmer des kleinen Eduard zu der Kranken gelangen konnte.
Jeden Morgen kam Morel zu Noirtier, um Erkundigungen einzuziehen; doch erschien er sonderbarerweise von Tag zu Tag weniger unruhig zu sein. Einmal ging es von Tag zu Tag bei Valentine besser, obgleich sie noch einer heftigen Aufregung preisgegeben war; sodann hatte ihm auch Monte Christo damals gesagt, wenn Valentine in zwei Stunden nicht tot wäre, so würde sie gerettet werden. Valentine lebte aber noch, und es waren bereits vier Tage vorüber. Die nervöse Aufregung verfolgte Valentine bis in ihren Schlaf oder vielmehr bis in den schlafsüchtigen Zustand, der auf ihr Wachsein folgte. Dann geschah es, daß sie in der Stille der Nacht und in dem Halbdunkel, das im Räume um sie her herrschte, jene Schatten erblickte, die das Zimmer der Kranken bevölkern, und die auf den Schwingen des Fiebers schweben. Dann kam es ihr bald vor, als ob sie das drohende Antlitz ihrer Stiefmutter erblickte, bald als ob Morel seine Arme nach ihr ausstreckte, bald als ob sie ihr sonst fernstehende Wesen, wie den Grafen von Monte Christo, gewahrte! Alles schien ihr in diesen fieberhaften Augenblicken beweglich und schwankend, und dies dauerte bis um drei oder vier Uhr morgens, wo ein bleierner Schlaf sich ihrer bemächtigte und sie bis zum Tage gefesselt hielt.
Am Abend des Tages, als Valentine Eugenies Flucht und die Verhaftung Benedettos erfahren hatte, ereignete sich eine seltsame Szene in dem so sorgfältig geschlossenen Gemach. Die Wärterin hatte sich ungefähr seit zehn Minuten entfernt. Seit einer Stunde etwa von dem jede Nacht wiederkehrenden Fieber heimgesucht, ließ Valentine den gegen ihren Willen unbotmäßigen Kopf die rastlose Arbeit des Gehirnes fortsetzen, das sich in unablässiger Wiederholung derselben Gedanken oder in Erzeugung derselben Bilder erschöpfte. Von dem Dochte der Nachtlampe gingen tausend und abertausend Strahlen mit seltsamen Zeichen aus, als es Valentine plötzlich. schien, als schiebe sich ihre Bibliothek, die neben dem Kamine in einer Mauervertiefung stand, beiseite, ohne daß die Angeln, auf denen sich eine Tür zu drehen schien, das geringste Geräusch hervorbrachten.
In jedem andern Augenblick hätte Valentine die Glocke genommen und um Hilfe gerufen; doch in der Lage, in der sie sich befand, erschreckte sie nichts mehr. Sie hatte das Bewußtsein, alles, was ihren Sinnen sich vorstellte, sei eine Ausgeburt ihres Deliriums.
Hinter der Tür erschien eine menschliche Gestalt.
Valentine war infolge ihres Fiebers zu sehr vertraut mit solchen Erscheinungen, um darüber zu erschrecken; sie riß nur die Augen weit auf, in der Hoffnung, Morel zu erkennen.
Die Gestalt schritt auf ihr Bett zu, dann blieb sie stehen und schien mit tiefer Aufmerksamkeit zu horchen.
In diesem Augenblick fiel ein Strahl der Lampe auf das Gesicht des nächtlichen Besuchers.
Valentine wartete regungslos, überzeugt, es sei nur ein Traum, und dieser Mensch werde, wie es in den Träumen geschieht, verschwinden oder sich in irgend eine andere Person verwandeln.
Sie berührte nur ihren Puls, und als sie ihn heftig schlagen fühlte, erinnerte sie sich, das beste Mittel, diese lästigen Erscheinungen verschwinden zu lassen, sei, zu trinken. Die Frische
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