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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Odoaker gemacht, was
    im Lateinischen soviel bedeutet wie ›verhaßte Klinge‹.«
    »Ein Ausländer!« flüsterte ich fassungslos. »Der Kaiser von Rom! Wahrhaftig, ein noch nie dagewesener Umsturz.«
    »Ne, er erhebt keinen Anspruch auf den kaiserlichen Titel.
    Das wäre zu dreist, und dafür ist er zu schlau. Weder die Bürger von Rom, noch Kaiser Zeno hätten ihm das gestattet.
    Nichtsdestoweniger scheint Zeno völlig damit einverstanden zu sein, Odoaker weiterhin im Westen regieren zu lassen, so lange er fortfährt, dem Kaiser des Ostens seine Ehrerbietung zu zollen. Das heißt, dem einzigen Kaiser alles dessen, was vom Römischen Reich noch da ist.«
    Strabo rülpste erneut, als sei es ihm vollkommen
    gleichgültig, daß er ja eigentlich vom Ende einer Ära
    gesprochen hatte, vielleicht dem Ende der modernen
    Zivilisation, möglicherweise sogar vom Ende der gesamten Weltordnung, wie wir sie kannten.
    Immer noch verwirrt sagte ich: »Ich habe den Überblick darüber verloren, wieviele Kaiser in Rom oder Ravenna
    regiert haben, seit ich auf der Welt bin. Doch hätte ich mir nie träumen lassen, daß ein Ausländer - ne, ein wilder Barbar, wenn er von den Skiren abstammt - maßgeblich am Zerfall des größten Imperiums in sämtlichen Annalen der Geschichte beteiligt ist.«
    »Auf jeden Fall«, sagte Strabo spitz, »hege ich große
    Zweifel, daß Odoaker sich jemals mit dem Sohn des Mannes verbünden wird, der seinen Vater erschlagen hat.«
    »Ne«, mußte ich einräumen und seufzte. »Von dieser
    Seite kann Theoderich keine Freundschaft erwarten.«
    »Andererseits«, sagte Strabo, »wenn es einem Ausländer gelungen ist, solchen Ruhm zu erlangen, könnte es auch einem anderen gelingen.«
    Er kniff seine Froschaugen zusammen, wie ein Frosch, der eine schmackhafte Fliege entdeckt hat, lächelte verschlagen und sprach dann ganz langsam, als lauere er der Fliege schon einige Zeit auf, um plötzlich zuschnappen zu können.
    »Odoaker könnte sehr wohl Erfolg damit haben, die
    verschiedenen Nationen und Parteien des Westens
    miteinander zu vereinen. Er könnte aus ihnen eine so
    mächtige Liga machen, daß Zeno ihn als einen höchst
    unbequemen Nachbarn unmittelbar neben dem Östlichen
    Imperium betrachten würde. Ich glaube, daß es dazu
    kommen wird. Bis es so weit ist, werde ich Zeno, der meinen unwürdigen Sohn Rekitach bei sich hat, weiterhin in dem Glauben lassen, er habe mich als seinen Sklaven unterjocht.
    Er soll ruhig denken, daß ich sein demütiger und
    unterwürfiger Handlanger bin. Und dann, wenn Zeno
    jemanden braucht für die Invasion, Eroberung und
    Übernahme von Odoakers Gebieten... wer käme dafür mehr in Frage als Zenos seit langem treu ergebener und
    vertrauenswürdiger Günstling, Thiudareichs Triarius? Niu?
    Und dann... wollen wir wetten, wie lange Zenos Imperium sich dann noch halten kann? Niu?«
    Ausgezeichnet. Ich hatte mich nur aus dem einen Grund
    gefangennehmen lassen, um so viel wie möglich von
    Strabos ehrgeizigen Plänen und Absichten in Erfahrung zu bringen, und nun war mir das gelungen. Sie waren
    verblüffend einfach: Er strebte nach der Weltherrschaft. Es klang so wahrscheinlich, glaubhaft und durchführbar, daß ich versucht war, sogleich Vorkehrungen für meine Flucht zu treffen, um in gestrecktem Galopp Theoderich die
    Neuigkeiten überbringen zu können.
    Es gab jedoch noch einige weitere Dinge, die ich in
    Erfahrung bringen wollte - eine Sache insbesondere, die mich seit unserer Ankunft in Constantiana interessierte.
    Deshalb schnitt ich eines Nachts das Thema an, als Strabo nach seinen schweißtreibenden Bemühungen, die er schwer atmend und keuchend hinter sich gebracht hatte, matt und schläfrig dalag.
    «Ihr spracht von der Unbesiegbarkeit Eurer Armee und
    davon, wie sehr Zeno sie fürchtet«, sagte ich. »Doch habe ich hier noch keine Armee gesehen, nur eine Garnison, und die besteht aus weniger Männern als diejenige, welche
    Theoderich in unserer Stadt Novae eingesetzt hat.«
    »Skeit!« grunzte Strabo unanständig. »Meine Armee ist eine Armee, kein Bienenstock voller Drohnen.
    Garnisonsaufgaben macht Männer zu Faulpelzen und
    Nichtsnutzen. Ich habe die meisten meiner Männer auf dem Schlachtfeld, wo Soldaten hingehören. Sie kämpfen, wie es sich für Soldaten gehört.«
    »Gegen wen kämpfen sie?«
    »Gegen jeden.« Er fuhr schläfrig fort, als wäre die
    Angelegenheit nicht besonders wichtig. »Vor kurzem hatten zwei meiner unterworfenen Stämme oben im Norden in

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