Der Greif
bekommen.
»Du erbärmlicher Wicht!« schrie ich, während ich ihn voller Wut packte und wie eine Satteldecke hin und her schüttelte.
»Bist du nur faul? Oder völlig unfähig? Oder hast du mich auf verbrecherische Weise hintergangen?«
»Fr-Fräuja«, flehte er stammelnd. »W-Was habe ich denn getan?«
»Du hast etwas sehr Wichtiges nicht getan!« brüllte ich und schleuderte ihn gegen die Wand des Stalls. »Thor... ich meine die als Thor verkleidete Genoveva hat mich heute hier in Lviv mit irgend jemandem betrogen. Wie konnte sie dir entwischen? Als Mann hättest du Thor an jeden Ort folgen können. Warst du zu faul?«
»Nein, Herr«, winselte er und sank zu Boden. »Ich bin ihr überallhin gefolgt.«
»Also wohin ging Thor... wohin ging die verkleidete
Genoveva? Warst du zu dumm zu bemerken, daß sie sich
mit jemandem traf, daß sie irgendeine Verabredung hatte?«
»Nein, Herr«, wimmerte Made. Er kauerte sich zusammen
und hielt sich schützend die Arme über den Kopf, »aber ich wußte, daß das Haus ein Bordell ist.«
»Was?« fragte ich bestürzt. »Ein gewöhnliches
Hurenhaus? Du hast gesehen, wie Thor... wie die
verkleidete Genoveva... du hast eine ehrbare Frau ohne zu zögern geradewegs in ein Bordell marschieren sehen? Und du bist nicht sofort zu mir gerannt, um mir von diesem mehr als ungewöhnlichen Vorfall zu berichten?«
»Nein, Herr«, stöhnte er. Dann jedoch bewies Made mehr Mut, als ich von ihm erwartet hatte. Er nahm die Arme vom Kopf, erhob sein tief bekümmertes Gesicht und sagte
entschlossen: »Ihr habt mich zu Recht beschuldigt, Herr. Ich habe Euch tatsächlich auf verbrecherische Weise
hintergangen.«
Ich zog die Faust zurück, die ich gerade auf ihn
niedersausen lassen wollte, und sagte zähneknirschend:
»Erklär mir alles!«
»Es gibt da sehr viel, was ich Euch nicht erzählt habe.«
»Dann hol' das auf der Stelle nach!«
Was er mir dann erzählte, klang wie eine Klage, die nur von gelegentlichen Schluchzern unterbrochen wurde: »Ich weiß nicht, was für eine Art von Frau Eure Fräujin Genoveva ist. Welche Frau würde schon in ein Bordell gehen? In
Noviodunum hielt ich sie noch für einen Mann namens Thor.
Als zum ersten Mal von dieser Reise die Rede war,
befürchtete ich sogar, daß es zwischen Euch und Thor
vielleicht unterwegs zu einem Streit um das schöne Fräulein Swanilda kommen könnte, und ich machte mir bereits
Sorgen, was in diesem Fall wohl aus mir werden würde.
Sobald Swanilda jedoch tot war, entpuppte sich Thor
ebenfalls als Frau. Eifersüchteleien oder Rivalitäten von irgendeiner Seite konnte ich nicht feststellen; Ihr schient mir jedenfalls glücklich zu sein, daher...«
»Das ist kein Bericht! Das ist dummes Geschwätz!«
Unbeirrt fuhr er fort: »Also beschloß ich, auf dieser Reise nichts zu sagen oder zu tun, was zu irgendwelchen
Eifersüchteleien oder Schwierigkeiten führen könnte, und auch nicht mehr zu sehen, als ich sehen sollte.«
»Idiot! Hatte ich dich denn nicht gebeten, wachsam zu
sein?! Ich hatte dir sogar ausdrücklich befohlen, Genoveva nicht aus den Augen zu lassen!«
»Aber genau an diesem Tag, an dem Ihr mir das befohlen habt, hatte sie Euch doch schon zum ersten Mal betrogen, Fräuja!«
Obwohl es mir sehr unangenehm war, über diesen Vorfall zu sprechen, sagte ich: »Ja, das weiß ich. Sie bat dich, schon einmal vorauszureiten, damit sie sich in der
Zwischenzeit mit diesem Köhler einlassen konnte. Genau deswegen befahl ich dir ja, sie von da an nicht mehr aus den Augen zu lassen.«
Made starrte mich verständnislos an. »Welcher Köhler?«
»Dieser rußbeschmierte alte Mann, der uns an jenem Tag noch vor meinem Ausritt auf dem Weg begegnete. Du hast diesen alten slowenischen Bauern doch sicherlich gesehen.
Ein Niemand.« Ich lachte bitter. »Er war der gemeine
Liebhaber, dem sie sich hingab.«
»Ach, ne, es war ein noch gemeinerer Liebhaber als
dieser Slowene, Fräuja Thorn!« schrie Made. Er senkte den Kopf und schlug ihn mit seinen eigenen Fäusten. »Ihr irrt Euch oder Ihr wurdet belogen. Es war nicht der Köhler. Der einzige Niemand, der Frau Genoveva an diesem Tag in den Armen hielt, war ein noch niedrigerer Armenier!«
»Du?... Du also!... Wie konntest du es wagen!« stammelte ich verwirrt.
»Sie wagte es! Sie hat es trotz meiner Proteste von mir verlangt, und danach machte sie sich dann über mein
kleines Glied lustig. Kurz darauf seid Ihr von der Jagd zurückgekehrt, Fräuja Thorn, und zum
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