Der Greif
uns bleibt keine andere Wahl, als weiter seiner Spur nachzureiten.«
Und das taten wir, obwohl wir nur sehr, sehr langsam
vorankamen. Nach langer, langer Zeit, als die
Abenddämmerung fast vollständig in Finsternis
übergegangen war, hielt Wyrd wieder an und bellte eine Reihe von Flüchen, die die Götter und Heiligen aller
Religionen hätten aufrütteln können. Ich fürchtete, daß der Hunne vor uns das Geschrei hören würde, doch diese
Gefahr bestand nicht, denn Wyrd schloß mit einem weiteren Fluch: »Beim aufgedunsenen und geplatzten Leib des Judas Ischariot, der Kerl ging nicht nach Basilia zurück! Er hat die Stadt umkreist und ist zum Flußufer hochgeritten. Ich nehme an, daß irgendein Kahn dort auf ihn gewartet hat, um ihn über den Rhein zu bringen. Optio Fabius! Reitet so schnell Ihr könnt zum Hafen. Organisiert Kähne und Bootsleute, um uns alle überzusetzen. Holt sie und treibt sie zur Eile an, peitscht sie, wenn nötig, stromaufwärts, wir warten dort auf Euch. Geht!«
Der Optio schoß wie ein Pfeil davon, und auch mein Velox schien nur noch auf einen Befehl zu warten, doch Wyrd
sagte: »Kein Grund zur Eile, Junge. Oh weh, wenn jener verräterische Sklave die Wahrheit sprach, als er sagte, daß sich das Lager der Hunnen im Süden, in Richtung der Hrau Albos befinde, dann täuschten sie ihn absichtlich. Und mich auch. Sie sind irgendwo nördlich des Rheins und vermutlich nicht weit vom Fluß entfernt, denn wer würde Bergräuber im Tiefland vermuten?«
Wir folgten der Spur also weiterhin, weder eilig noch
langsam, und die Nacht brach herein, so daß ich nicht
einmal mehr die Fährte im Schnee erkennen konnte. Doch Wyrd schien damit keinerlei Schwierigkeiten zu haben. Das Ufer wurde abschüssig und wie Wyrd vorausgesagt hatte, wiesen deutliche Spuren im Kies darauf hin, daß hier
irgendein Kahn angelegt hatte und wieder ins Wasser
geschoben worden war. Wyrd fluchte, aber uns blieb nichts anderes übrig, als abzusteigen, unsere Feldflaschen zu füllen und zu warten.
Wir mußten nicht lange warten. Fabius mochte zwar ein
chronischer Nörgler sein, doch wenn es darum ging zu
handeln, war er durchaus ein Mann der Tat. Die Nacht war nicht sehr weit fortgeschritten, als Wyrd, Becga und ich beobachteten, wie im Westen ein Licht auftauchte, das sich nach und nach in das Licht dreier Laternen teilte, die auf dem unruhigen Wasser des Flusses lange, verzerrte,
gezackte Spiegelungen hervorriefen. Oberhalb von Basilia fließt der Rhein sehr schnell, und die drei Kähne wurden jeweils von vielen Männern gerudert, so daß sie für die Fahrt nur wenig Zeit gebraucht hatten. Es hätte mich nicht
erstaunt, wenn Fabius die Männer höchstpersönlich mit
Peitschenhieben angetrieben hätte. Doch er kam am Ufer entlariggeritten, und die Kähne waren draußen auf dem
Wasser. Als er auf uns stieß, rief Fabius den Bootsleuten nichts zu, sondern schrie wie eine Eule was offensichtlich ein vorher vereinbartes Signal war - denn nun bewegten sich die Boote miteinander in Richtung Ufer.
»Gute Arbeit, Optio«, sagte Wyrd, als Fabius vom Pferd stieg. »Wenn die Hunnen am anderen Ufer einen Posten
aufgestellt haben, wird er nur drei Laternen gesehen haben.
Löscht also diese Lichter nicht aus. Kommandiert drei der Bootsleute ab, sie sollen zu Fuß hier am Ufer entlanggehen, und jeder soll eine Laterne tragen. Sie sollen am Wasser bleiben und marschieren - bis zum Morgen, oder bis sie umfallen, was immer auch zuerst geschieht. Die übrigen Männer sollen uns in der Dunkelheit so leise wie möglich übersetzen.«
Ganz nach Plan stapften drei der Neuankömmlinge in
kurzen Zeitabständen hintereinander den Fluß hinauf und trugen die Laternen. Ein jeder, der vom anderen Ufer aus herüberspähte, hätte angenommen, daß die Kähne, ohne
anzulegen, an ihm vorübergefahren wären. Währenddessen gingen wir Verfolger so leise wie möglich an Bord.
Wyrd sagte, er könne nicht abschätzen, wie weit die starke Strömung das Boot des Hunnen während der Überfahrt
abgetrieben habe, also befahl er unseren Bootsleuten, so schnell wie möglich zu rudern, damit wir den Rhein in
gerader Linie überquerten. Wenn wir erst einmal auf der anderen Seite angekommen wären, so meinte er, könnten
wir immer noch am Ufer entlangreiten und herausfinden, wo der Hunne an Land gegangen sei.
Wir waren lange Zeit auf dem kalten, schwarzen Fluß - so erschien es mir jedenfalls - und die schwarze Luft war auf dem Wasser viel kälter
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