Der Greifenmagier 2 - Land des Feuers
nicht überzeugend. Aber trifft es nicht zu?«
»Es ist schlüssig«, antwortete Gerent, »bedeutet aber auch, dass man einen Begriff für ›Widerstandskraft‹ ebenso benötigt wie einen für ›Dehnbarkeit‹. Das eine ist eher die Widerstandskraft gegen Brüche durch Einwirkung von Schlägen, nicht wahr, und das andere eher die Widerstandskraft gegen Zugspannung. Oder irre ich mich?«
»Ich sehe, dass ihr beide gut zurechtkommen werdet«, meldete sich Fareine zu Wort. »Aber Tehre, vergiss nicht, trotzdem eines dieser schönen belegten Brote zu essen.«
»Was?« Tehre drehte sich zu der alten Frau um und starrte sie erst einen Augenblick lang an, ehe sie sie richtig ins Auge fasste. Dann lachte sie.
Gerent war von diesem Lachen überrascht. Es war ein nettes Lachen voller Zuneigung und echter Heiterkeit – über sich selbst, die eigene Vertiefung und Ablenkbarkeit. Gerent kam der Gedanke, dass Tehre womöglich ein Wort wie »Ablenkbarkeit« übernehmen und als die Fähigkeit definieren würde, gegen Widerstand hindurchzugleiten oder etwas in der Art, und er lächelte.
»Gehen wir doch in den Garten hinaus«, schlug Tehre vor. »Fareine, ist alles ...«, sie wedelte vage mit den Händen, hielt dabei noch immer die Schreibfeder, »... geregelt?«
»Dein Gast ist bereits untergebracht«, versicherte Fareine ihrer Herrin. »Danke, hochverehrter Herr; falls du diese Teller nehmen könntest, dann gehe ich Krüge mit Wein und Wasser holen, ja?« Sie reichte ihm die belegten Brote und Kuchen und eilte wieder geschäftig hinaus.
Gerent sah die Dame Tehre mit hochgezogenen Brauen an, womit er fragte: Wohin?
»Hier entlang«, erklärte die Dame und öffnete eine kleine Tür. Während Tehre rückwärts durch die Tür ins strahlende Sonnenlicht hinausging und sich mit der Sicherheit langer Übung abfing, als sie über die Schwelle stolperte, redete sie in einem Zug weiter: »Du bist ein Schaffender, hat Fareine gesagt? Oder ein Techniker?«
»Vor allem ein Schaffender. Das Gleiche habe ich mich bei dir gefragt, da du über den Entwurf großer Bauten nachdachtest ...«
»Weder das eine noch das andere«, sagte sie leicht bitter. Sie blickte sich um und schien eine nahe, im Schatten stehende Bank zu entdecken, als sähe sie sie jetzt zum ersten Mal. Sie schritt dorthin und setzte sich. Gerent folgte ihrem Beispiel und reichte ihr den Teller mit den belegten Broten, da sie diese schon wieder vergessen zu haben schien.
»Oder vielleicht beides«, fügte Tehre hinzu, nahm ein belegtes Brot zur Hand und betrachtete es nachdenklich. Sie dachte erkennbar noch immer über Gerents Frage nach. Er hatte gar nicht vorgehabt, es so kompliziert zu machen. Die Frau sagte jedoch gedankenverloren: »Eine Schaffende und eine Baumeisterin und eine Technikerin und eine Philosophin ...« Sie blickte unvermittelt zu Gerent auf. »Ich versuche, die Funktionsweise von Dingen zu verstehen. Aber manche wichtigen Konzepte ...«, sie führte eine frustrierte Handbewegung mit dem belegten Brot aus, »... fehlen. Ich bin sicher, wenn ich nur die Begriffe richtig definiere ... Du hast völlig recht, nebenbei, denn das ist wirklich das Erste, was man tun muss; aber man muss erst mit den Konzepten arbeiten, ehe man überhaupt erkennt, wofür man Begriffe braucht ...«
Als die Dame keine Neigung zeigte, ihren Gedanken fortzuführen, wechselte Gerent das Thema. »Ich habe Geschäfte in der Stadt zu erledigen, und deshalb war dein Vater so freundlich vorzuschlagen, du könntest mir ein Gästezimmer anbieten, solange ich hier bin.«
»Ja, natürlich, wenn du möchtest«, beschied ihm Tehre, aber Gerent gewann den Eindruck, dass sie ihm gar nicht richtig zugehört hatte.
»Wirst du das essen oder nur damit herumfuchteln? Fleisch ist teuer, seit die Flüchtlinge aus Melentser kommen, weißt du?«, rief Fareine, während sie mit den versprochenen Krügen und drei Bechern auf die beiden zukam.
»Oh«, sagte Tehre und nahm einen Bissen.
Ihre Aufmerksamkeit galt jedoch weiterhin Gerent. Kein Wunder, dass sie so klein war, wenn sie nie etwas aß, solange niemand sie darauf hinwies.
»Wein, hochverehrter Herr?« Fareine goss für ihre Dame und Gerent und sich selbst ein, etwas Wein und kräftig Wasser, und setzte sich dann ans Ende von Tehres Bank.
»Was stellst du her?«, fragte Tehre unvermittelt Gerent.
»Zumeist kleine Sachen. Aber alle möglichen Sachen. Messer und Lampen, Gürtel und Stiefel, Töpfe und Teller ...«
Die Frau lachte unerwartet.
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