Der Greifenmagier 2 - Land des Feuers
betrachten. Sie war eine gelassen wirkende, dralle Frau mit einem breiten Mondgesicht und kleinen schwarzen Augen. Sie wackelte regelrecht, wenn sie lachte, was sie oft tat. Die Küchenmädchen vergötterten sie eindeutig.
»Ich mag Männer, die kräftig etwas verdrücken können«, bemerkte sie beifällig, als sie Gerent einen zweiten Teller mit belegten Broten anbot, nachdem er den ersten erfreulich schnell leer gegessen hatte. »Das bringt etwas Fleisch auf diese Knochen, ganz klar. Und etwas Kuchen muss noch verzehrt werden; es sind genug, um einige Stücke jetzt zu essen und einige für den Abend übrig zu lassen.«
Gerent war erfreut und ein wenig überrascht, dass das Hauspersonal wenig von Zeremonien zu halten schien. Hier gab es sicherlich irgendwo ein richtiges Speisezimmer, aber niemand schlug ihm vor, dort zu essen. Er und die Dienstboten hatten sich an den großen Tisch in der Küche gesetzt, um belegte Brote zu verspeisen und dem Mädchen, welches das Obst fürs Gebäck zurechtschnitt, Apfelstücke zu mopsen. Das Mädchen drohte, ihnen in die Hände zu stechen, lachte dabei aber.
Die zweite Runde belegter Brote verschwand fast so schnell wie die erste, aber ein Servierteller war noch unangetastet, als die Küchentür erneut aufging. Das Hauspersonal sprang auf. Gerent stand ebenfalls auf; und die Köchin zischte einem der Mädchen etwas zu, das langsamer als die anderen reagiert hatte. Die Gescholtene lief dunkelrot an und tat es den anderen gleich. Die Dame Tehre Annachudran Tanschan rauschte herbei, als es das Mädchen gerade auf die Beine geschafft hatte.
Für eine kleine Frau rauschte die Dame Tehre sehr überzeugend. Auf den ersten Blick ähnelte sie ihren beiden Elternteilen nicht sehr. Sie hatte kleine Brüste und schmale Hüften, aber sie wirkte nicht knabenhaft. Ihre Haare waren nicht schwarz wie die von Sicheir, sondern dunkel wie Sirup: ein reiches Braun mit goldenen Flecken. Sie trug es hochgesteckt, jedoch auf eine unordentliche Weise, die schon nicht mehr lässig genannt werden konnte, sondern gedankenlos wirkte. Dabei war es hübsches Haar. Trotzdem war Tehre im Grunde nicht hübsch – oder vielleicht eben doch: Sie drückte nur nicht das Bewusstsein einer Frau aus, die sich der eigenen Schönheit gewiss war.
Tehre Annachudran besaß nichts von der sichtlichen Liebenswürdigkeit des Vaters oder der gemütlichen Warmherzigkeit der Mutter. Sie wirkte ... nicht direkt streng. Wäre sie jedoch groß und stattlich gewesen, dann hätte sie durch Schönheit beeindrucken können, die über gewöhnliche Attraktivität hinausging. Da sie jedoch klein und zierlich war, wirkte sie einfach nur nervös.
Und anders als ihre Dienstboten empfing sie Fremde nicht mit offenen Armen. »Ein Schaffender, sagst du?«, fragte sie Fareine, die mit ihr eingetreten war; Zweifel schwang unmissverständlich in ihrer Stimme mit. »Ich weiß nicht ... Ich war nicht ...«
»Dein hochverehrter Vater hat ihn geschickt«, wandte Fareine sanft ein. »Den ganzen Weg von Meridanium.« Gerent hatte sich unter dem Namen Gerent Pecheran vorgestellt, was einer der häufigsten meridanischen Namen war.
»Oh, hat er?« Die Dame Tehre zögerte. »Na ja ... na ja ... Dann suchen wir mal mein Arbeitszimmer auf, denke ich. Fareine ...«
»Ich bringe dir dort etwas«, versprach ihr die ältere Frau sofort.
»Gut, gut«, sagte Tehre, wenn auch gedankenverloren, und es klang fast so, als hätte sie im Grunde nicht gehört, was Fareine gesprochen hatte. Tehre warf Gerent einen misstrauischen Blick zu, gab ihm jedoch mit einem Wink zu verstehen, dass er sie begleiten sollte. »Du bist also ein Schaffender? Ich arbeite derzeit an diesem Problem, das mit der Verlängerung von Rissen in großen Bauten zu tun hat. Im Zusammenhang mit Maurerarbeit besteht nun mal das Problem, das Steine unter äußerer Spannung brechen. Ich bin sicher, dass du das weißt, aber was ich nicht verstehe: Wie kommt es, dass Risse, die sich zunächst nur langsam und sporadisch vergrößern, sich unvermittelt auf katastrophale Weise ausbreiten? Beschäftigst du dich eigentlich mit Maurertätigkeit? Mit großen Bauten?«
»Das habe ich.« Nicht oft zwar, aber das sprach Gerent nicht aus. Frauen besaßen häufig die Schaffensgabe, waren aber nur selten Technikerinnen; Tehre Annachudran hörte sich allerdings mehr nach einer Technikerin an als nach einer gewöhnlichen Anwenderin der Schaffensgabe.
Das Arbeitszimmer erwies sich als großes, unaufgeräumtes
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