DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
glaubte und auch den Wachmännern nicht vertraute, egal wie vorgewarnt und wachsam sie vielleicht waren. Maianthe hatte Tan zweimal vor seinen Feinden gerettet und spürte deutlich, dass sie für diese beiden Rettungsaktionen verantwortlich gewesen war. Tan war überrascht, dass er das nicht sofort verstanden hatte. Er empfand unvermittelt eine verblüffende Wärme für diese junge Frau, die so ernst und so erstaunlich bereit war, eine große Verantwortung für einen Fremden zu übernehmen, dem sie zufällig begegnet war und der nicht wirklich zu ihrem eigenen Volk gehörte.
Maianthe, die sich der plötzlichen Veränderung ihres Ansehens bei Tan gar nicht bewusst war, tippte mit dem leeren Linulariner Buch auf ihre Handfläche, blickte kurz in beide Richtungen den Flur entlang und sagte zögernd: »Ich habe … Ich meine, ich habe ein bequemes Sofa in meinem Zimmer.« Sie hatte eindeutig vergessen, dass sie in diesem Haus das Zepter schwang, denn sie sprach diesen Vorschlag nicht als Befehl aus, sondern zog sogar entschuldigend den Kopf ein, während sie ihm das Angebot unterbreitete. »Ihr könntet … Ich weiß, dass Ihr ein eigenes Zimmer oben im Turm habt, und ich bin mir sicher, dass es dort inzwischen vollkommen sicher ist. Ich frage mich jedoch, ob Ihr nicht lieber … Ein Sofa, wo niemand nach Euch suchen würde … Wo ich Euch selbst im Auge behalten könnte … Ich weiß, dass es im Grunde kein korrektes Ansinnen darstellt …«
Das fensterlose Turmzimmer erschien Tan jetzt, wo er darüber nachdachte, weniger wie eine Zuflucht, sondern mehr wie eine Falle zu sein. Ein Sofa in einem Zimmer, wo niemand ihn vermutete, ein Angebot in letzter Minute, das niemand mitgehört hatte, unterbreitet von dieser jungen Dame, die sich als so begabt darin erwiesen hatte, ihn aus den Klauen seiner Feinde zu retten … Das erschien ihm sehr zweckmäßig. Er war nicht zu stolz, um das festzustellen. Daher antwortete er – und seine Worte entsprachen sogar der Wahrheit: »Ich halte diesen Vorschlag für sehr korrekt und tapfer, zumal er von der Herrin des Deltas einem Fremden unterbreitet wird, der unter ihrem Schutz steht. Ich nehme ihn an, meine Dame, und danke Euch für dieses überlegte Ansinnen.«
Maianthe schien erleichtert. Sie wies ihm mit dem Kopf den Weg. »Ich hatte vor, eines meiner Mädchen zu bitten, dass sie Euch Tee bringt, aber vielleicht ist es besser, wenn auch in der Küche niemand erfährt, wo Ihr Euch aufhaltet. Obwohl meine Mädchen verschwiegen sind. Das glaube ich jedenfalls.«
Nach Tans Erfahrung waren Dienstmädchen niemals verschwiegen. Er wusste nicht recht, wie er das ausdrücken sollte. Er konnte ja kaum vorschlagen, dass die junge Dame Maianthe ihn einlud, ohne Aufsicht in ihren Räumen zu verweilen.
»Karin kann den Mund halten«, erklärte Maianthe in einem Tonfall, der andeutete, dass sie zu einer notwendigen Schlussfolgerung gelangt war. »Sie schwatzt zwar, aber das ist nur eine Schau für die jungen Männer. Sie wird nicht über irgendetwas Wichtiges reden.«
Tan sagte nichts.
»Ich schwöre, dass ich niemandem etwas verrate«, versprach wenig später die junge Dienstmagd Karin feierlich, als Maianthe ihr erklärte, dass Tan die Nacht womöglich auf einem Sofa in ihrem Wohnzimmer verbringen würde. Karin war ein dralles und unerhört kokettes Mädchen. »Ist nicht mal von dem Schlag,aus dem ich meine Liebsten auswähle«, setzte sie nach Tans zweifelndem Blick hinzu und blinzelte dabei. Seltsamerweise hatte Tan das Gefühl, dass das Mädchen tatsächlich die Wahrheit sagte, was ihre Verschwiegenheit anbetraf, wenn auch nicht unbedingt über ihre Auswahl an Liebsten.
Maianthe nötigte Tan, sich auf das beste Sofa zu setzen, und nahm selbst auf einem Rohrsessel Platz, wobei sie wie ein Kind die Füße unter den Röcken anzog. »Nun …«, begann sie, während sie Tan ansah, und hielt dann inne. Offensichtlich wusste sie nicht, was sie sagen sollte, woraus man ihr keinerlei Vorwurf machen konnte.
Das Hausmädchen hatte sich, mehr oder weniger außer Hörweite, auf der anderen Zimmerseite vor einen Kamin gesetzt. Sie beschäftigte sich mit Nadelarbeiten und gab so auf die altehrwürdige Weise aller Dienstmädchen vor, nicht zu lauschen.
»Also«, sagte Tan so leise, dass das Mädchen nicht mithören konnte, »wachst Ihr gerade in magische Kräfte hinein, Herrin Maianthe?«
»Nein!«, widersprach Maianthe sofort, zögerte dann jedoch. »Ich weiß es nicht. Ich denke nicht.
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