Der Grenzgänger
ob es sie überhaupt gab. Aber ich fühlte mich in ihrer Schuld.
Es machte eigentlich wenig Sinn, die technischen Fehler in den Romanen überhaupt zu notieren. Ich schrieb sie auf, weil sie das Einzige waren, was überhaupt zu merken war, Flüchtigkeitsfehler, unbeabsichtigte Defizite, die einen nach Perfektion strebenden Menschen massiv verärgern können.
Insofern hätte ich mich an Fleischmanns Stelle auch über den kleinen Mangel im fünften Roman maßlos aufgeregt. Darin war Hoffnung einmal nur mit einem „f“ geschrieben.
Das sechste Buch schließlich war absolut fehlerfrei, sofern ich das mit meiner nachlassenden Konzentration beurteilen konnte.
Ich pustete durch, als ich das letzte Buch zur Seite legte, und erschrak, als ich beim Blick auf die Uhr erkannte, dass es schon auf den späten Abend zuging. Ich saß wenig begeistert in meinem Sessel und musste mir eingestehen, nicht sonderlich produktiv gewesen zu sein. ,Was hatte mir die Arbeit gebracht?’, fragte ich mich. ,Nichts, oder zumindest nicht viel’, gab ich mir als Antwort.
Die Arbeit war für die Katz’ gewesen, so kam es mir vor.
Ich war froh, als ich Böhnkes Dienstwagen knirschend auf den Kiesweg zum Hühnerstall einbiegen hörte. Ich war gespannt, was Böhnke mir zu berichten hatte, und hoffte, dass er die Zeitung dabei hatte.
Der Kommissar brachte nicht nur den Lesestoff mit. In seinem Einkaufskorb hatte er auch zwei heiße, in Kartons eingepackte Pizzen verstaut, die er bei der Rückfahrt über Simmerath gekauft hatte. „Ich habe mir gedacht, dass Sie nichts gegessen haben“, vermutete er nicht zu Unrecht, als er unsere Mahlzeit auf dem Tisch abstellte. Die zusammengefaltete Zeitung schob er auf eine Ablage hinter sich außerhalb meiner Griffweite. Mit Heißhunger schob ich mir das klebrige, nicht sonderlich appetitlich riechende, aber dennoch leckere Käse-Teig-Gemisch in den Mund. „Was haben Sie herausbekommen?“, fragte ich mit vollem Mund kauend.
Böhnke ließ sich Zeit mit der Antwort. Er schluckte erst den Bissen herunter, ehe er sagte: „Ich möchte wissen, woher Fleischmann so gut informiert war. Der hat in seinem Roman mehr an Informationen verpackt, als wir besitzen.“
„Wieso?“
Der Kommissar kaute erneut sehr lange an einem Pizzastück, ehe er sich zu einer Antwort bequemte. „Beispielsweise hat Fleischmann in seinem Roman geschrieben, dass die Rinder zunächst auf Weiden in den Niederlanden gebracht wurden und von dort nach Deutschland, was wir bisher nicht wussten. Meine Kollegen haben im Laufe des Tages festgestellt, dass unser Metzger tatsächlich so vorgegangen sein muss. Aber wir kennen den Ort jenseits der Grenze noch nicht.“ Darüber hinaus gebe es weitere Kleinigkeiten, die den Ermittlern bislang nicht bekannt gewesen seien. Böhnke winkte ab. „Das ist aber jetzt nicht mehr mein Thema. Ich habe meine Kollegen darauf aufmerksam gemacht, sie sollen sich drum kümmern.“
„Warum weiß Fleischmann mehr als die Polizei?“ So schnell wollte ich das Thema nicht abhaken.
Als Böhnke schweigend weiterkaute, dachte ich laut nach: „Er weiß mehr, weil er die besseren Informationen hat. Das bedeutet aber auch, dass er die Informationen nicht oder nicht nur von Ihrem Maulwurf hat, denn der Maulwurf weiß nur das, was bei der Staatsanwaltschaft bekannt ist. Oder?“
Böhnke nickte. Es war ihm anzusehen, dass ihm meine Überlegung über diese Entwicklung nicht sonderlich gefiel. Zu schnell wechselten die Verdachtsmomente, wurden Verdächtige entlastet und andere verstärkt belastet. Jetzt gab es vielleicht einen neuen Unbekannten, einen weiteren oder vielleicht auch nur den einzigen Informanten, der Fleischmann ausgeschaltet hatte. „Stimmt’s?“ Erwartungsvoll betrachtete ich meinen älteren Freund. Mit sorgenvoller Miene blickte mich Böhnke an. „Es stimmt. Und die Sache wird noch komplexer, verflucht noch mal.“ Der Kommissar langte nach der Zeitung in seinem Rücken. „Ich habe eine weitere Überraschung für Sie“, sagte er stöhnend. „Lesen Sie!“
Seine Überraschung war in der Tat gelungen, wenn sie mir auch überhaupt nicht gefiel und noch weniger in meine Kombinationen passte. Schon auf ihrer Titelseite berichtete die Zeitung unübersehbar mit einem großen, farbigen Bild über einen Brand in der vergangenen Nacht in einer Buchdruckerei in Eschweiler; ausgerechnet in jener Druckerei, in der Fleischmanns Verleger die Bücher drucken ließ.
Ich hatte meine Zweifel, ob
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