Der große Blowjob (German Edition)
«Habt ihr schon diese neuen Windeln mit integriertem Bluetooth-Mikrochip gesehen? Nein? Stellt euch vor, die können SMS verschicken!» Und die anderen Mütter werden sie erst mit Verachtung ansehen und gleich darauf mit heimlichem Neid. Nicht etwa Neid darauf, dass die Kinder dieser Mutter irgendwie besser versorgt würden als ihre eigenen, im Gegenteil: Die Kinder mit den nicht verchipten Windeln sind da eher im Vorteil, weil sie von ihren Müttern echte menschliche Zuwendung erhalten, sie werden öfter berührt, hochgehoben und so weiter. Nein, in den anderen Mamis keimt Neid auf, weil sie auf einmal erkennen müssen, dass sie sich, was ihren Spielstatus betrifft, nicht auf demselben Level befinden wie diese Early-Adopter-Mami. Sie haben weniger Punkte, spielen auf einem niedrigeren Level. Und in diesem Sinn ist die Windel zugleich eine Waffe, eine Bombe, weil die anderen Mütter in diesem Szenario nichts anderes sind als Spielgegner, die einen schlagen und mehr Schätze einsammeln. Oder die einen daran hindern wollen, mehr Schätze einzusammeln, als sie selbst haben, so zumindest wird der Quatsch in unserer Gesellschaft ja dargestellt. Und daher hat der eigentliche Zweck des Produkts nichts mit seinem konkreten Nutzen zu tun. Es fungiert in erster Linie als Schatz-Bombe, mit der Mutter A Mutter B ausstechen kann, womit sie zugleich das Risiko vermindert, dass Mutter B ihren Erfolg im Spiel irgendwie gefährden könnte. Die Kampagne für dieses spezielle Produkt ist ja mittlerweile berühmt, wenn nicht sogar berüchtigt, weil sie Stoff für unzählige Parodien auf YouTube geliefert hat. Sie wurde als schlechteste Werbung aller Zeiten bezeichnet. In der Kampagne also wird eine Gruppe Mütter in verschiedenen Alltagssituationen gezeigt, im Café, auf dem Spielplatz und in einem häuslichen Umfeld. Die Mutter mit der verchipten Windel weiß immer als Erste, wann ihr Kind ordentlich gepinkelt hat, und bringt damit die anderen Mütter in Verlegenheit. Der Slogan DAMIT SIE NICHT ALS LETZTE MERKEN , WENN BABYS WINDEL VOLL IST ™ zielt ebenfalls auf Beschämung ab. Er soll Schuldgefühle erzeugen. Anders gesagt, wir haben ein Produkt erschaffen, wenn nicht gar ein Mem, mit dem wir Müttern ein schlechtes Gewissen einreden, wenn sie sich ganz normal um ihre Kinder kümmern. Wertschöpfung wird so etwas an der Wall Street genannt.
Und, wie hat sich die Windel am Markt geschlagen?
Der Absatz war achthundert Prozent über Plan und wächst weiter von Monat zu Monat, auf praktisch jedem Markt, auf dem die Windel gelauncht wurde.
Da kann ich nur sagen: wow.
Die Version für Erwachsene kommt auch bald in den Handel.
Nächste Frage: Warum tust du, was du tust?
Hmm, okay. Du meinst, was motiviert mich, abgesehen von der Dreiviertelmillion Dollar, die ich im Jahr mache?
Ja, davon abgesehen. Inwiefern stimuliert deine Arbeit dich, als kreativen Menschen, meine ich?
Nun, offen gesagt, sie stimuliert mich kein bisschen. Wie nennt man das Gegenteil von Stimulation?
Abstumpfung?
Weißt du, was ich an meiner Arbeit spannend finde, ist die Tatsache, dass ich selbst nicht daran glaube. Oder vielmehr, ich bin davon überzeugt, dass die Technologie (und Werbung ist heutzutage unglaublich eng mit Technologie verknüpft, vom Geotargeting über Online-Advertising bis hin zu Facebook-fähigen Apps für Smartphones) uns letzten Endes zerstört. Weil sie uns die Grundbausteine dessen, was unser Menschsein ausmacht, entzieht und uns zwingt, sie uns für Geld zurückzukaufen. Genau das versteht man unter Wertschöpfung.
Kannst du uns ein weiteres Beispiel nennen?
Nein.
Wieso nicht?
Eins sollte genügen.
Du bist echt ein Arsch, Eric.
Indem wir einer Mutter ihre quasi naturgegebene Empathie wegnehmen und ihr Geld dafür abknöpfen, sie zurückzubekommen, halten wir die Wirtschaft in Gang. Und die Wirtschaft ist genauso, quasi auch nicht mehr als ein Spiel, eine Illusion, ein kollektiver Wahn. Klar, man könnte einwenden, dass wir ja das Spiel bestimmen und die Regeln vorgeben. Und wenn uns so viel daran liegt, Müttern ihre Fähigkeit zu erhalten, sich eigenverantwortlich um ihr Kind zu kümmern, sollten wir einfach keine Windeln mit Mikrochips verticken. Aber wer, frage ich dich, würde es wagen, so etwas zu stoppen? Stell dir vor, ich würde zu unseren Kunden sagen: «Liebe Leute von Unilever, braucht die Welt wirklich Stinkewindeln, die SMS verschicken? Sollten wir die Mamis nicht eher zu liebevoller Säuglingspflege ermuntern,
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