Der große Blowjob (German Edition)
es ja auch vor ihrem inneren Auge, dasselbe Bild wie ich: Die Weigerung, Juliette zu feuern, ist nur die erste Salve, und am Schluss versammle ich die Truppen im Aquarium und gebe bekannt, dass das grausame Spiel jetzt zu Ende ist. Die Geschassten werden bald zurückkommen, und dann stehe ich neben der Personaltante, und wir recken triumphierend die Arme in die Höhe, während erster, höflicher Beifall anfängt, der sich zu einem wahren Jubelorkan der Dankbarkeit steigert.
«Eric, dieses Ding reißt mir den Arm ab, wenn Sie nicht bald aussteigen», sagt sie.
Als wir uns meinem Büro nähern, wartet Juliette Chang dort bereits in einem unbequemen Möbelstück aus der Zeit um 1950 . Sie hat ihren Laptop aufgeklappt auf den Knien und arbeitet, oder tut zumindest so, als würde sie arbeiten. Meine Assistentin wirft mir einen Blick zu, den ich gut kenne, es ist ihr «Wo bleiben Sie denn, Sie haben doch einen Termin»-Blick, und es stimmt, Juliette wartet schon seit neun Uhr, sie denkt, wir reden über Smirnoff oder so. Aber dass sie seit einer Dreiviertelstunde hier sitzt und wartet, ist noch die geringste ihrer Sorgen und nichts im Vergleich zu dem, was ich ihr in letzter Zeit zugemutet habe. Schon dass ich überhaupt auftauche, ist ein solches Entgegenkommen meinerseits, dass sie es empfinden muss, als würde ich sie befördern, ihr etwas schenken, eine Flasche Pinot etwa, ihr ein paar Tage freigeben oder so etwas.
Sie setzt zu meiner Begrüßung ein strahlendes Lächeln auf. Ein betont breites, hundertprozentiges Fake-Lächeln, auf das sie sich jetzt schon dreißig Jahre verlässt, seit sie gleich nach dem Studium bei Tate angefangen hat. Dann huscht ihr Blick zu der Personaltante neben mir, sie sieht uns im Tandem anrücken, mittlerweile sogar im Gleichschritt, und sie weiß Bescheid. Sie muss es wissen, sie weiß es schon die ganze Zeit, seit dem Tag, an dem ich die Abteilung übernommen und angefangen habe, alle Leute in ihrem Alter zu feuern. Aber sie lässt sich nichts anmerken, lächelt immer weiter dasselbe Lächeln, nur kostet es sie nun wohl etwas mehr Mühe.
Gleich darauf sind wir in meinem Büro, Juliette, die Personaltante und ich. Die Tür ist geschlossen. Nachdem wir alle Platz genommen haben, blickt sie mich einfach nur starr an.
«Ich, äh», fange ich an und weiche ihrem Blick aus. «Wir befinden uns in einer schwierigen Lage zurzeit, und wir, äh, sehen uns, mit Rücksicht auf Wünsche einiger Kunden, äh, zu tiefen Einschnitten gezwungen. Tut mir sehr leid, Ihnen das mitzuteilen, aber wir müssen Sie …»
«Falls Sie meinen, das käme jetzt überraschend für mich, täuschen Sie sich», spuckt Juliette aus. «Ich wusste schon seit Wochen, was kommt, ach was, seit Monaten. Alle wissen Bescheid.»
«Tut mir wirklich leid, Juliette», sage ich. Dann spult die Personaltante ihren Vortrag über die sehr großzügige Abfindung runter, doch Juliette schneidet ihr das Wort ab, ehe sie auch nur bei den Vergünstigungen angekommen ist.
«Seit dreißig Jahren bin ich nun fast jeden Tag meines Lebens in dieses Gebäude gekommen», fängt sie an. «Ich unterstütze meine Schwester in Upstate New York, die schwer zuckerkrank ist und nicht arbeiten kann, und ihr Kind.»
«Juliette», sage ich und weiß dann nicht weiter.
«In meinem Alter finde ich in dieser Branche keinen Job mehr, das wissen Sie. Sie wissen auch, wie wichtig diese Arbeit für mich ist, und trotzdem haben Sie mir die ganze Zeit was vorgespielt und so getan, als wären Sie mein Freund, als würden wir an einem Strang ziehen.»
«Ich wollte nicht, dass Sie … Ich wollte Ihnen dazu verhelfen …»
«Wozu verhelfen?», fragt sie. «Dazu, den Tatsachen ins Auge zu sehen? Zu einem Abgang in Würde?»
«Juliette», sagt die Personaltante leise und wischt sich mit dem Handballen die Tränen aus den Augen. «Versuchen wir doch bitte …»
«Was? Was sollen wir versuchen?», beschwört Juliette sie. Die Personaltante reicht ihr wortlos eine Mappe mit Unterlagen, Rechtsfragen betreffend, die sie sich ansehen soll, aber Juliette nimmt sie nicht entgegen, hält mit beiden Händen stur ihren Laptop umklammert. In der Annahme, dass sie es nun akzeptiert hat und gleich aufstehen wird, beuge ich mich etwas vor und verlagere mein Gewicht bereits leicht auf die Fußspitzen, um dann zusammen mit ihr aufzustehen. Dabei überlege ich, ob ich ihr zum Abschied noch die Hand geben und für die Arbeit in all den Jahren danken soll. Oder soll ich sie
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