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Der große deutsche Märchenschatz

Der große deutsche Märchenschatz

Titel: Der große deutsche Märchenschatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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Vize-Königs von Böhmen in jenem Walde jagte; denn er hatte sich daselbst ein Schloss bauen lassen, und das hatte er aus zweierlei Ursachen getan: erstens, weil er ein großer Freund der Jagd war; zweitens, weil er sich mit seiner Schwester nicht vertragen konnte und deshalb an seines Vaters Hof nicht länger bleiben mochte.
    Wie der Prinz nun den Kohlenbrenner im Walde traf, redete er ihn mit rauer Stimme an und fragte ihn, was er da mache, also, dass der arme Bursch schier anfing zu weinen und dem Prinzen sein Unglück klagte. Der aber hatte Mitleid mit ihm und gab mit dem Jagdhorn ein Zeichen, dass die Dienerschaft herbeikommen sollte, was auch alsbald geschah, worauf der Prinz befahl, den Burschen mit heimzunehmen, ihn zu waschen, zu kleiden und zu beköstigen. Am folgenden Morgen musste er dann selbst vor dem Prinzen erscheinen, und der sah nun, dass es ein gar flinker und feiner Bursch war, und fragte ihn, ob er nicht Stallknecht bei ihm werden möchte. Ja, das wollte er sehr gern und trat sogleich in die Dienste des Prinzen. Von jetzt an hielt er sich aber so gut und war so fleißig und ordentlich, dass der Prinz seine wahre Freude an ihm hatte und ihn bald zu seinem Kammerdiener machte und sich gern mit ihm unterhielt.
    In jener Zeit aber musste sich der Prinz über seine Schwester gar zu sehr ärgern und konnte nicht mehr mit ihr auskommen; denn das junge, blondköpfige Ding war zwar sehr schön, aber auch so blitznaseweis, dass ihr kein Mann gut genug war. Da kam ein Prinz nach dem andern und wollte sie heiraten; allein an dem einen wusste sie dies, an dem andern das auszusetzen, und wies sie alle miteinander ab. Da dachte endlich ihr Bruder: »Wart nur, du dummes Ding du, ich will dich schon drankriegen! Sind dir die Prinzen zu schlecht, so ist dir mein Kammerdiener wohl recht!«, und ließ den hübschen Burschen kommen und sagte ihm, was er mit ihm vorhabe, dass er ihn nämlich mit seiner Schwester zu verheiraten gedenke. »Ich will dich am nächsten Sonntag mit Wagen und Pferden und Bedienten in die Kirche meines Vaters schicken; da musst du aber mit niemandem ein Wort reden, sondern gleich nach der Kirche wieder zurückfahren. So wollen wir den Faden anspinnen.«
    Als es nun Sonntag war, legte der Prinz dem Kammerdiener fürstliche Kleider an, ließ ihn mit Dienerschaft und in einem schönen Wagen nach der Schlosskirche fahren, und wie er dort ankam, war die junge Prinzessin schon darin und sah verwundert den fremden Prinzen kommen und dachte: »Ei, das ist mal ein schöner Prinz!« Sie musste ihn nur immer ansehen und konnte ihn gar nicht genug betrachten, hörte auch beinah nichts von der ganzen Predigt, sondern sprach still in ihrem Herzen etwa so: »Ich glaube, der könnte mir gefallen; der ist einmal wirklich schön; den möcht ich heiraten!« Und als die Kirche aus war, lief sie eilends zu ihrem Vater und sagte ihm: »Da ist heut ein fremder Prinz in der Kirche gewesen, den muss ich zum Gemahl haben und keinen andern!« Als der Vater sich nun nach ihm umsah, war er bereits wieder fortgefahren. Da war die Tochter außer sich und ganz trostlos; der Vater aber sagte ihr: »Gib dich zufrieden! Wenn er noch keine Frau hat und er dich mag, wird er schon wiederkommen.«
    Indes war der Kammerdiener wieder bei dem Prinzen und versah die Woche hindurch seinen Dienst. Am nächsten Sonntag aber erhielt er noch schönere Kleider und noch stattlichere Pferde und einen prächtigen Wagen nebst Dienerschaft und fuhr wiederum in die Schlosskirche. Wer da nicht fehlte, das war die Prinzessin und war überaus glücklich, als sie den fremden Prinzen wieder erblickte und meinte, dass sie noch nie einen so schönen Mann gesehen habe. Als die Predigt aber aus war und der Prinz abermals sogleich davonfuhr, da eilte sie zu ihrem Vater und ward sehr zornig und machte ihm Vorwürfe, dass er den Prinzen nicht sogleich zur Tafel habe einladen lassen. Allein der Vater tröstete sie und sprach: »Nachdem er zweimal dagewesen ist, wird er auch wohl zum dritten Mal wiederkommen, wenn er überhaupt ein gutes Aug auf dich haben sollte und nicht schon längst, wie ich fast vermute, verheiratet ist.« Das machte die Tochter ganz wehmütig und sie konnte die Zeit kaum abwarten, wo es wieder Sonntag war.
    Endlich war die Woche herum und der Vize-König schickte seinen ersten Minister hinaus, dass sie den fremden Prinzen, wenn er

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