Der große Fetisch
schlimm sind wir gar nicht. Warten Sie mit Ihrem Verdammungsurteil doch, bis Sie Anglonia gesehen haben.«
»Ich bin schon sehr gespannt darauf, mein Herr.«
»Ich zum Beispiel«, sagte Halran, »bin seit fünfzehn Jahren mit einer Frau verheiratet, und wir beide waren nur zweimal verheiratet, als wir uns kennenlernten. Unsere Freunde halten uns allerdings für ein bißchen merkwürdig.«
»Nun, Anglonier sollten keine Vizantiner heiraten und dann zu anglonischen Moralvorstellungen zurückkehren. Wir lassen uns das nicht gefallen. Petronela wußte, daß ich erwartete, ihr erster, letzter und einziger Mann zu sein …«
»Haben Sie denn Grund zu glauben, Sie waren der erste? Ein normales anglonisches Mädchen heiratet erst, wenn sie einige Erfahrungen gemacht hat.«
»Mein Gott!« stöhnte Marko. »Daran hatte ich überhaupt noch nie gedacht.«
Das Gespräch erstreckte sich über mehrere Tage. Schließlich sagte Marko: »Mein Herr, ich glaube immer noch, daß es meine Pflicht ist, das schuldige Paar zu töten. Ich möchte aber weder gehängt werden, weil ich, wie ich fürchte, eigentlich gar nicht sehr mutig bin, noch möchte ich Sie in Unannehmlichkeiten bringen. Ich habe also die Absicht aufgegeben, sie zu töten, wenigstens bis zu dem Zeitpunkt, da sie nach Vizantia zurückkehren, wo die Sache gesetzlich wäre.«
»Schön!« sagte Halran. »Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem gesunden Menschenverstand. Sie werden dann also nach Vizantia zurückkehren, wenn wir die Saar durchquert haben?«
»Nein, mein Herr. Sie vergessen, daß ich dort zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Könnte sich ein Mann wie ich seinen Lebensunterhalt in Anglonia verdienen?«
»Mhm, ich glaube schon. Es gibt mehrere Möglichkeiten: Söldner zum Beispiel, oder Sprachlehrer und so weiter.«
»Übrigens«, sagte Marko, »auch wenn ich Mongamri und meine Frau nicht töte, so ist es meine Pflicht, vor sie hinzutreten und eine Erklärung zu verlangen.«
»Was gibt’s da zu erklären, außer, daß sie lieber mit ihm als mit Ihnen zusammen ist?«
»Nun, hm, vielleicht hat Petronela ihn jetzt besser kennengelernt und möchte gern zu mir zurück«, sagte Marko versonnen.
»Haben Sie aus der einen schmerzlichen Angelegenheit nichts gelernt? Ich rate Ihnen, sich mit denen auf nichts einzulassen«, sagte Halran. »Es könnte zu einem Streit kommen, bei dem trotz aller guten Vorsätze jemand zu Schaden kommen könnte.«
»Ist es denn nicht einmal erlaubt, in Notwehr zu töten?«
»Doch, aber die Beweislast liegt bei dem, der getötet hat. Schlagen Sie sich die beiden aus dem Kopf.«
»Das kann ich nicht. Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich mich schäme, den Vorsatz aufgegeben zu haben, die beiden zu töten. Ich bin ein schwacher, sittenloser, ehrloser Bursche. Ich muß wenigstens versuchen, sie aufzustöbern und ihnen gegenüberzutreten.«
Sie ritten weiter. Kaum hatte Marko seine Mordabsichten zurückgestellt, zeigte sich Halran von der freundlichsten Seite. Der kleine Mann konnte sich den Unannehmlichkeiten einer Karawanenreise nicht so recht anpassen, da er es nicht ausstehen konnte, sich die Hände schmutzig zu machen, Kamele zu reiten oder unter freiem Himmel zu schlafen. Andererseits kam er gut mit den anderen Leuten aus und war immer dabei, Gruppen zu organisieren, die alle möglichen Aufgaben vom Wasserholen bis hin zum Singen von Volksliedern erfüllen sollten. Sein Lieblingsspruch war: »Machen wir mal Ordnung.« Er fand immer einen Weg, eine Aufgabe leichter zu machen, indem er sie plante.
»Faulheit«, sagte er zu Marko, »ist die Mutter der Erfindung. Und ich bin der faulste Philosoph in Anglonia.«
Daneben war er ein geschickter Kartenspieler. Es dauerte drei Tage, bis die anderen Reisenden vorsichtig wurden, aber da hatte er ihnen bei kleinen Spielen schon so viel abgenommen, daß er den halben Fahrpreis wieder hereinbekommen hatte.
Am sechsten Tag machte die Karawane in der Oase Siwa Mittagspause. Die Oase lag in einer weiten Senke, die von einigen Felsen durchsetzt war. Aus der Ferne unterschied sie sich von der umliegenden Wüste durch niedriges Buschwerk, dessen Blätter ein wenig Grün in die graubraune Landschaft brachten.
Slim Qadir trieb sein Tier zum Wasserloch und ließ es sich niederlegen, wobei er den anderen zurief, die Tiere zurückzuhalten, bis etwas Wasser für die Menschen geschöpft war. Es ging recht laut und unordentlich zu, Pferde wieherten, und Kamele schnaubten und wollten zum
Weitere Kostenlose Bücher