Der grosse Horizont
Beckenrand liegen. Auf der Cellophanhülle glitzerten Wassertropfen. Der Lift fuhr im gläsernen Liftschacht mit den Negerinnen, die die Schmutzwäsche in den Transportwagen abholten, in die Höhe. – Alles, was Haid sah, schien ihm wie ein Hinweis auf Ordnung. Er fühlte eine so starke Sehnsucht nach dieser Ordnung, daß er sich fragte, warum er noch nicht abgereist war. Worauf wartete er? Ein alter, glatzköpfiger Mann hinkte die Balkontreppe hinunter, ein verbitterter, kleiner Geschäftsmann aus der Provinz oder ein enttäuschter, pensionierter Kellner mit kranken Füßen, und als Haid ihm zusah, wie er ängstlich und krank die Treppen hinunterstieg, war ihm, als ob ihm jemand sagte, er, Haid, habe nicht mehr viel Zeit.
NEW YORK
1
Haid war von Angst betäubt gewesen, wie von einem Gift. In seinem Hotelzimmer hatte er immer quälender an Selbstmord gedacht. Er hatte Angst vor dem Sterben, doch in bestimmten Momenten wünschte er sich den Tod. Als seine Frau ihn betrogen und verlassen hatte, war er tagelang mit dem Gedanken, sich umzubringen, seiner Arbeit nachgegangen. Alles war ihm als ein Hinweis erschienen, daß er es tun sollte … Er brachte sich häufig mit Todesarten in Beziehung und konnte sich nicht erklären, warum er es nicht tat. Es blieb ihm schließlich nichts anderes übrig, als anzunehmen, daß er zu feige war. Oder er brauchte den Gedanken, sich umbringen zu wollen, um leben zu können. Es half ihm über seine Verzweiflung hinweg, daß er wußte, jederzeit sterben zu können. Während er in seinem Hotelzimmer das Reisegepäck in die Hände genommen hatte, war er für einen Moment überzeugt gewesen, daß er sich erschießen würde, wenn er einen Revolver besitzen würde. Dieser Gedanke war ihm nicht neu. Er hatte mehrmals gezögert, sich einen Revolver zu kaufen, und daß er es nicht getan hatte, schien ihm zu bestätigen, daß er in Wirklichkeit leben wollte. Er hatte darüber nachgedacht, wer ein größerer Egoist sei: Der, der sich aus Gründen, wie er es vorhatte, umbrachte, oder der, der zu feige war, sich in einer ähnlichen Situation umzubringen, obwohl er mit dem Gedanken spielte. Als die Tür zum Hotelzimmer ins Schloß fiel, überlegte er, ob er ein paar Zeilen an O’Maley schreiben sollte. Aber er überlegte nicht ernsthaft, denn er ging wie ein Automat weiter. Er trat in die heiße Luft und die schneidende Angst überfiel ihn, O’Maley könnte ihn sehen, könnte auf ihn zutreten und ihm Fragen stellen. Er ließ das Reisegepäck in der Hotelvorhalle stehen und versuchte ein Taxi aufzuhalten, dabei sah er, wie ein Philippino einem Weißen absichtlich den Schuh von der Ferse trat. Der Weiße drehte sich erschrocken um, sah den Philippino, entschuldigte sich und ging davon. Ohne sich im klaren zu sein, was er tat, trat Haid auf den Philippino zu und fragte ihn nach einem Taxi. Der Philippino blickte ihn feindselig an. Haid hatte keinen klaren Kopf, er dachte noch immer an Selbstmord und es befriedigte ihn, daß der Philippino voller Haß gegen ihn war. Haid wiederholte seine Frage nach einem Taxi. Der Philippino spuckte vor ihm auf die Straße. Im nächsten Augenblick schlug er Haid ins Gesicht. Haid fühlte einen stechenden Schmerz am Ohr und fand sich gleich darauf auf dem Boden liegend. Das Seltsame daran war, daß er den Eindruck hatte, sich selbst auf dem Boden liegen zu sehen. Er bildete sich auch ein zu sehen, daß er aus der Nase blutete, und daß seine Kleidung schmutzig war, dann fühlte er einen dumpfen Schmerz im Knie, der gleich darauf nachließ und ihn annehmen ließ, er habe sich diesen Schmerz nur eingebildet. Was ihn überraschte, war aber, daß seine Angst verschwunden war. Er fühlte sich wie von einem Alptraum befreit und sah, als er jetzt aufblickte, das Gesicht des Philippinos hoch in der Luft, ein menschlicher Papierdrachen unter dem riesigen, blauen Himmel. Er vermochte das Gesicht nicht zu deuten, da er zu sehr mit sich beschäftigt war, aber er blickte es gelassen an und erhob sich, wie nach einem langen Schlaf. Und wie in einem Traum kam die Faust des Philippinos auf sein Gesicht zu, schwarz, groß und drohend, aber Haid schien, als zögere diese Faust, er konnte ihr mit einer Kopfbewegung ausweichen, und er fühlte, wie sein rechter Arm losschnellte und seine geballte Faust auf knochiges Fleisch traf. Er schlug nochmals zu, und im nächsten Augenblick sackte der Mensch vor ihm nieder. Der Philippino trug einen dunkelblauen Anzug mit Nadelstreifen, in
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